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Studium Generale: ein Forum für Weitblick

Über den diskursiven Austausch zwischen Wissenschaft, Uni und Bürgergesellschaft

Das Studium Generale ist eine fächerübergreifende Vortragsreihe, die sich aktuellen und öffentlich relevanten Themen widmet. Im vergangenen Sommer hat das Studium Generale den 150. Jahrestag des Kommunistischen Manifests im Jahr des 200. Geburtstag von Karl Marx zum Anlass genommen, sich intensiv mit Marx zu beschäftigen: Politische Krisen, ökonomische Armut und Hunger waren Vorboten für die Revolutionen 1848 in vielen Ländern Europas, so auch in England, Frankreich und in Deutschland. Eine Art europäischer Frühling fand statt. ›Ein Gespenst ging um in Europa‹, wie es Karl Marx und Friedrich Engels formuliert haben. Heute erlebt die Kapitalismuskritik eine Renaissance. Marx wurde wieder zu einem der wichtigsten Bezugspunkte für ökonomische, philosophische und gesellschaftspolitische Debatten. Ge­stern noch scheinbar veraltete Begriffe wie ›Arbeit‹, ›Klassenkampf‹ oder ›Ideologie‹ werden heute im Rahmen von feministischen, postkolonialen und globalisierungskritischen Politikentwürfen neu interpretiert.

Das Thema ›zündete‹: Es kamen eine große Gruppe Studierender zu den Vorträgen, zusätzlich zum Stammpublikum unseres Studium Generale aus der weiteren Lübecker Öffentlichkeit, und außerdem viele Neugierige und auch Zeitzeugen. Immer waren mehr als 100 Zuhörerinnen und Zuhörer dabei. Zunächst legte Falko Schmieder (Berlin) die faszinierend unterschiedlichen Bedeutungsschichten im Revolutionsbegriff bei Karl Marx frei. Im zweiten Vortrag der Reihe zeigte Birgit Mahnkopf (Berlin), dass Karl Marx seine Vision befreiter Arbeit keineswegs als Ausbeutung der Natur konzipiert hat, sondern vielmehr mit ihm das Problem der Naturzerstörung als Grenze des Kapitalismus gedacht werden muss. Am dritten Abend nahm die weltweit bekannte, marxistische Sozialwissenschaftlerin und Aktivistin Frigga Haug ein volles Auditorium mit auf eine Reise durch ihr lebenslanges Engagement für Frauenrechte und eine gerechtere Welt.

Den letzten Abend gestaltete Regina Kreide (Gießen) mit Überlegungen zur aktuellen Relevanz der Marxschen Politischen Theorie.

Im vergangenen Wintersemester widmete sich das Studium Generale dem ›Pflegenotstand‹ als Herausforderung der Gegenwart: ›Who Cares?‹ Die Politik ergreift Maßnahmen zur Aufwertung der Pflege- und Fürsorgearbeit. An den Unis (auch in Lübeck) werden die Pflegewissenschaften aufgebaut, und Schleswig-Holstein hat als eines der ersten Bundesländer 2018 eine Pflegeberufekammer eingerichtet. Doch die Zustände verschärfen sich: Schlecht bezahlte Arbeit, Überforderung und fehlende Anerkennung beschreiben ein Problem, das weder politisch noch gesellschaftlich gelöst zu sein scheint. Dabei ist die Sorge- und Fürsorgearbeit mehr als die Sorge um den Mitmenschen. Pflege ist eine gesellschaftlich hochrelevante Tätigkeit, die, auch wenn sie im Privaten stattfindet, im öffentlichen Raum diskutiert werden muss. Zudem lässt die verschärfte Rationalisierung des Arbeitsmarktes soziale Tätigkeiten und besonders die Fürsorge im Generationenvertrag immer mehr zum Problem werden. Produktionsarbeit als Motor der Wirtschaft scheint die soziale Welt zu strangulieren, denn Fürsorge kostet nicht einfach mehr Zeit, sondern sie lebt gewissermaßen von Zeitverschwendung. Es reicht deshalb nicht aus, nur neue sozialpolitische Maßnahmen zu diskutieren. Mit der mangelnden Marktfähigkeit von Fürsorge steht vielmehr die Grundordnung unserer Gesellschaft auf dem Spiel.

Dass das Gesundheitswesen im Bereich ›Care‹ an einem Scheideweg steht, machte eine eröffnende Podiumsdiskussion mit Patricia Drube, Nadia Rakowitz und Stefanie Mentrup deutlich. Wenn die Patientinnen und Patienten letztlich nur dafür da sind, dass die Krankenhäuser Gewinne machen, wird es immer schwieriger, patientenzentriert zu pflegen. Christa Wichterich (Bonn) analysierte diese Ökonomisierung der Medizin aus einer politischen Perspektive als einen Care-Extraktivismus aus Ländern mit billigeren Löhnen in die reichen Länder wie Deutschland. Eine international vergleichende Perspektive entfaltete sodann die Gerontologin Hildegard Theobald (Vechta), und zum Schluss der Reihe zeigte Cornelia Klinger (Hamburg und Tübingen) auf, wie Care die Logik der Herstellung sprengt: Im Sorgen und Pflegen wird nämlich die Zeit ganz anders wahrgenommen. Erinnern, Wiederholen, Durcharbeiten sind anderen Zeitgesetzen unterworfen als die Herstellung von Output. Damit hat sie eine philosophische Perspektive eröffnet, die Care in der Mitte der Gesellschaft verortet.

Im Sommersemester 2019 findet wieder eine gemeinsame Ringvorlesung aller drei Lübecker Hochschulen statt. Thema ist: Fake Science – Täuschung/Lüge/Fälschung. ›Fake News‹ sind ja in aller Munde. Man weiß oft nicht mehr so recht, was echt ist und was wahr. Aber es gibt immer Profiteure dieser Verunsicherung. Werden wir durch die Datenflut der unerschöpflichen Medienwelten informiert oder manipuliert? Da wird getäuscht, gelogen und gefälscht. Aber doch nicht in der Wissenschaft! So hofft man. Die Universität, die Technische Hochschule und die Musikhochschule Lübeck laden ab Montag, dem 15. April 2019, in die Universitäts- und Hochschulkirche St. Petri ein, um Täuschung, Lüge und Fälschung in der Wissenschaft zu thematisieren. Diese Ringvorlesung will das Unwahre an sich zum Forschungsgegenstand machen, bedenkt die Chancen und Grenzen der Erkenntnis und klärt über Träume und Enttäuschungen der Wissenschaft auf. Um der Wahrheit willen!

Für das Wintersemester 2019/20 ist eine Ringvorlesung zum Projekt Europa geplant: Was brennt in Europa? Wer brennt für Europa?

Cornelius Borck, Christoph Rehmann-Sutter, Christina Schües, Birgit Stammberger

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