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Lehrkonzepte Medizin

Anatomie

Kursus der makroskopischen Anatomie Teil 1 und 2 („Präparierkurs“)

Lehrende: Dr. med. Imke Weyers (verantwortlich)

Studierende: 190 (1. und  2. Semester)

Seminar Anatomie Teil 3 (Kursus der Neuroanatomie)

Lehrende: Dr. med. Reinhard Eggers (verantwortlich)

Studierende: 190 (3. Semester)

Vorlesungen:  R. Eggers, A. Klinger, M. Klinger, P. König, J. Westermann,  I. Weyers

zusätzlich in den Übungen: L. Ellebrecht, S. Kretschmer, J. Maynicke,  N. Teletzky, L.Trog

Didaktik

Die Kurse der Makroskopischen Anatomie und der Neuroanatomie sind Übungen, die ähnlich dem Bedside-Teaching von einem engmaschigen Betreuungskonzept leben. 

Der verbindliche Stoff eines jeden Kurstages wird in Vorlesungen etwa eine Woche vor dem wöchentlichen Kurstag vermittelt, zu dem 5 bis 6 Studenten als Tischgruppe unter Anleitung nach detaillierten Kursskripten einen ganzen menschlichen Leichnam und menschliche Gehirne präparieren. Jeder beteiligte Dozent betreut 3 Tischgruppen; Studenten höherer Semester unterstützen als Tutoren sowohl die Präparation, als auch die Festigung von Kenntnissen, Fertigkeiten und Fähigkeiten.

Ergänzend berichten Kollegen aus der Klinik zu ausgewählten Themen ( Berufsfelderkundung) und als Propädeutikum für den klinischen Untersuchungskurs wenden die Studierenden das neu gewonnene anatomische Wissen bei  gegenseitiger körperlicher Untersuchung an  ( Anatomie am Lebenden).  

Das Lehrformat ist nicht innovativ, denn es entspricht dem althergebrachten Präparierkurs. Innovativ sind die Verknüpfungen unterschiedlicher Elemente, die den Präparierkurs alter Prägung vergessen lassen:
Es handelt sich eher um Hands-On-Übungen, ähnlich den  klinischen Operationskursen, bei denen die Studenten in kleinen Gruppen die zuvor in der Vorlesung dargestellten Inhalte präparierend begreifen und selbständig erforschen.

Die Vielzahl der Leichname ermöglicht Vergleiche, die wichtige Hinweise über Variationen des Normalen geben.

Um den Lernerfolg eines jeden Kurstages  zu sichern, wird das erworbene Wissen regelmäßig in kurzen mündlichen Testaten überprüft.

Jeder menschliche Körper, erst recht ein toter Körper, entwickelt sich zum interdisziplinären Kleinod, wenn er präpariert werden kann. Da die Kursleiterin Fachärztin für Pathologie ist, werden im Kurs themenbegleitende pathologische Demonstrationen durchgeführt, die durch unübersehbare und oft brutale Veränderungen erst deutlich machen, wie bedeutungsvoll genaue Kenntnisse der regelrechten anatomischen Struktur tatsächlich sind. Wer zum Beispiel eine verschlossene Herzkranzarterie und die Defekte in ihrem Versorgungsgebiet gesehen hat, braucht keine Erläuterungen zu den Einschränkungen der Herztätigkeit mehr. Er braucht auch keine Hinweise mehr darauf, warum es sinnvoll ist, Kenntnisse über den Verlauf von Herzkranzarterien zu besitzen.

Kollegiale Beratung

Das Dozententeam wird zusätzlich durch klinisch tätigen Kollegen erweitert, die mit ihrem praktischen Erfahrungsschatz während der Präparation die Brücke zwischen anatomischer Struktur und klinischer Relevanz schlägt.

Darüber hinaus sorgen die Vorlesungen der Fachkollegen aus der Klinik, zum Teil mit Patientenvorstellungen dafür, dass klinische Aspekte immer wieder eingewoben und diskutiert werden. Wenn innerhalb der fünfwöchigen Neuroanatomie ein Neurochirurg, ein Neuroradiologe, ein Neurologe, ein Anästhesist aus der Schmerzambulanz und ein forschender Internist in faszinierenden Vorlesungen ihre berufliche Sicht auf nur ein einziges Organ ausbreiten, dann ist Interdisziplinarität keine Frage mehr, sondern Antwort.    

Die Makroskopischen Anatomie oder die Neuroanatomie sind Lehrveranstaltungen, die ohne kollegiale Hilfe undenkbar sind. Körperspenden sind ein wesentliches Element bei der Vorbereitung, aber genauso wesentlich sind genaue Vorstellungen über den Gang der Präparationen und über die zu vermittelnden Themen. Viele Diskussionen und Absprachen sind darüber hinaus notwendig, um ein Skript zu erstellen, das als anerkannte Grundlage für einen solchen Kurs dient.

Ein kollegialer Austausch findet auch zu Beginn eines jeden Kurstages statt: In der Einführung durch den Kursleiter für alle Dozenten und Tutoren werden die wichtigsten Präparationsschritte demonstriert und die Präparationsziele benannt. Für alle Beteiligten wird erläutert, wie Schwierigkeiten begegnet werden kann, in welchen Termini sich übliche Lehrbücher unterscheiden oder welche häufigen Verständnisschwierigkeiten mit welchen Maßnahmen zu beheben sind.

Durch den gleichen Informationsstand bei allen Betreuern werden aufkommende Fragen kompetent und gleichartig beantwortet. Ein gemeinsamer kritischer Rückblick auf den jeweils vorigen Kurstag erleichtert weitere Vorbereitungen und die kontinuierliche Anpassung des Skriptes.

Methodik

Die Präparation eines toten menschlichen Körpers oder seiner Teile erfordert eine gezielte ethische Vorbereitung und Aufklärung der Studenten, umfangreiche Kenntnisse, motorische Fertigkeiten und eine Reihe von Fähigkeiten, die auch mit der Situation zu tun haben, dass es sich um tote menschliche Körper handelt. Sie erfolgt zielgerichtet nach einer Vorschrift (Skript), in der auch genau benannt ist, welche Themen vorbereitend zu bearbeiten sind, denn eine Präparation ist üblicherweise nur dann erfolgreich, wenn der Präparand weiß, was unter dem liegt, was er gerade zerschneidet.

Die Studierenden begreifen im wahrsten Sinne des Wortes die Lage und räumliche Ausdehnung der anatomischen Strukturen in einem Körper (Lernen am Original). Sie lernen darüber hinaus, mit Skalpell und Pinzette sachgerecht umzugehen und entwickeln dabei ein Feingefühl für ärztliches Instrumentarium, das ihnen bei späteren operativen  Herausforderungen zu Gute kommt.

Die kleinen Tischgruppen und die günstige Betreuungsrelation ermöglichen eine unmittelbare Beschäftigung mit Einzelnen, gezielte Förderung verschiedener Kompetenzen durch Forderung oder Bestätigung. In einer solchen Atmosphäre lassen sich Gespräche über alle Facetten ärztlichen Handelns führen und im besten Fall, dem Forscherdrang keine Grenzen setzen. In einer solchen Umgebung fällt es dem Lehrenden leicht, in unterschiedlichen Rollen Vorbild zu sein, Wissen zu vermitteln und Fähigkeiten zu erwirken.

Medien

Für die begleitende Vorlesung sind Beamer und Lecturnity-Aufzeichnungen auf Moodle als Medien wichtig.
Im Kurs ist das Präparierskript das wichtigste Instrument für die Vorbereitung. Hierin werden die Präparationsschritte für jeden Kurstag im Detail beschrieben und durch zielführende Fragen verdeutlicht. Ein orientierender stichwortartiger Überblick zu jedem Präpariertag erleichtert die Vorbereitung auf Präparation und Testat.

An jedem Präpariertisch stehen den Studenten jeweils ein Atlas und eine Präparieranleitung zur Verfügung, die das selbständige Erkennen präparierter Strukturen erleichtern. Die Präparation selber erfolgt mit einem Präparierbesteck (Skalpell und diverse Pinzetten, Sonden, Scheren etc.). In den Umgang werden die Studenten eingewiesen und sie können nach kurzer Zeit selbständig damit umgehen. Während des Kurses können Fragen an einem Computer mit Internetzugang geklärt werden. Zusätzlich besteht Zugriff auf digitale Atlasversionen über ein weiteres Terminal.

Inhalte / Lernziele

Inhalte: Topographie und Funktion des menschlichen Körpers. Schwerpunkt Bewegungsapparat im ersten Semester, Schwerpunkt innere Organe und Kopf/Hals im 2. Semester, Schwerpunkt Neuroanatomie zu Beginn des 3. Semesters.

Lernziele: Grundlage für das Verständnis sämtlicher physiologischer und pathologischer Prozesse und damit wichtige Basis für das Verständnis aller klinischen Fächer.

Interkulturalität, Vielfaltsaspekte der Studierenden

Innerhalb der Veranstaltung ist es möglich, von dem Wissen berufserfahrener Studierender zu profitieren, indem man diese Studierenden auffordert, ihre praktische Erfahrung an die nicht-erfahrenen Studierenden weiterzugeben (z.B. Physiotherapeut erzählt von Gelenkprüfung vor der Behandlung). Die Wichtigkeit der Lerninhalte im Berufsalltag wird dadurch verstärkt, der Lerneffekt vergrößert.

Durch ausländische Studierende, die meist zusammen mit einer Gruppe deutscher Studenten arbeiten, kommen interkulturelle Kontakte zustande. Die deutschen Studierenden helfen bei Sprachschwierigkeiten und lernen dadurch Empathie und Hilfsbereitschaft (Soft Skills). Von dem fachlichen Coaching profitieren beide Seiten: der/die deutsche Student/-in kann die Inhalte durch das gemeinsame Lernen besser behalten, der/die ausländische Student/-in hat in der Lernsituation weniger Hemmung Fragen zu stellen oder auch Zusammenhänge zu präsentieren und lernt dadurch auch besser.

Kompetenzförderung der Studierenden

Handlungskompetenz: Dadurch, dass das Präparieren im Kurs nur angeleitet wird, nach wenigen Kurstagen aber weitgehend selbstständig geschieht, sind die Studierenden sehr schnell in der Lage, auch schwierige präparatorische Situationen eigenverantwortlich zu bewältigen. Die mündlichen Testate führen dazu, das erlernte und erarbeitete Wissen strukturiert zusammenzufassen. Hierdurch entsteht über die Dauer des Kurses eine Routine in der kommunikativen Präsenz.

Methodenkompetenz: Das Präparierskript gibt nur ein Gerüst von Lerninhalten, das durch die eigene selbständige Vorbereitung in eine gute Präsentation während des Testats umgewandelt werden muss. Hierzu bekommen die Studierenden, vor allem zu Beginn des Kurses,  im Anschluss an die Testate kurze Rückmeldungen. Es zeigt sich, dass die meisten Studierenden nach 2-3 Kurstagen keine Probleme mit den Testaten haben.

Soziale und Kommunikative Kompetenz: Bei der Präparation ist eine Tischgruppe von sechs Studierenden für einen Leichnam bzw. ein Gehirn zuständig. Dazu bedarf es einer guten Absprache, wer was präpariert, wer aufräumt oder in die Pause geht (Soft Skills). Der Zusammenhalt der Tischgruppen bleibt aus Erfahrung oft bis in die klinischen Semester erhalten, was den Wert dieser sozialen Gruppe deutlich macht. Oft bilden die Tischgruppen auch Lerngruppen oder bilden langjährige Freundschaften aus.

Rollen als Lehrende(r)

Dr. med. Imke Weyers: Das Curriculum ist die Basis für die Lehre im Kurs, die Wissensvermittlung alleine ist jedoch nicht für den Lernerfolg verantwortlich. Wie John Hattie in seiner Studie belegt hat, ist der Lernerfolg maßgeblich von dem Lehrer abhängig und vor allem von der Zeit, die Lehrer und Lernende im Unterricht  miteinander verbringen.  Zwei Studenten-Zitate charakterisieren meine Rollen sehr gut. Zum einen meine Rolle als Wissensvermittlerin: „Frau Weyers, Sie sind hart aber herzlich!“, zum anderen meine Rolle als Lern-, aber auch Lebensphasen-Begleiterin, indem mich manche Studierende als „Präp-Mama“ bezeichnen, weil ich mich mit viel Empathie um die fachlichen und persönlichen Belange der Studierenden kümmere und jederzeit ein offenes Ohr habe.

Dr. med. Reinhard Eggers: In der Vorlesung bin ich eher der systematische Wissensvermittler, der mit Wort, Bild und unterschiedlichsten Hilfsmitteln (legendär sind Hirnentwicklung mit Hilfe von Latexhandschuhen oder Darmdrehung mit einem Duschschlauch) versucht, ein grobes Wissensgerüst in den Lernenden zu generieren. Alle weiteren Lehrveranstaltungen dienen dazu, dieses Wissensgerüst weiter aufzufüllen.

Insbesondere die in kleinen Gruppen durchgeführten Präparationen an Leichnamen oder an Gehirnen ermöglichen uns Lehrenden eine Vielzahl von Rollen, u. a.:

  • Vorbild, z. B. im Umgang mit den toten Körpern, mit den Kollegen, mit den Lernenden,
  • Forscher, der gemeinsam mit den Lernenden den Körper erkundet, nicht nur als Demonstrant der eigenen Kenntnisse, sondern vor allem als
  • zum-Nachdenken-Anreger, der klinische Fragestellungen formuliert und bei der Lösung mit Rat und Tat zu Seite steht, sie aber nicht präsentiert.
  • gezielter Frager: Fragen wecken Neugier, erzeugen neue Fragen und führen zum Verstehen, wenn Wissen abgerufen und angewendet werden muss. Die emotional aufgeladene Atmosphäre im Präpariersaal ermöglicht tiefe Einsichten und dauerhafte Kenntnisse, nicht nur  über topografische Beziehungen und funktionelle Zusammenhänge, wenn der Lernende nicht mit Fakten zugeschüttet, sondern gezielt, entsprechend seinen eigenen Fähigkeiten angeleitet, geführt und begleitet wird.  

 

Publikationen zu den Kursen:

Eggers, R., König, P., Busch, L.C., Westermann, J. (2007) Medizinstudium: Anatomie als Wissensbasis: Deutsches Ärzteblatt 104, 1221-1224

Weyers, I., Maynicke, J., Teletzky, N., Eggers, R., König, P., Klinger, M., Westermann, J. (2011)
Der anatomische Präparierkurs: Unverzichtbar für ein modernes Medizinstudium. 125 Jahre Anatomische Gesellschaft (1886-2011) Jubiläumsausgabe 83-87