An der Schnittstelle zwischen Ingenieurwissenschaften und Medizin: Patientennahe Smartphone-basierte Diagnostik
Die Joachim Herz Stiftung in Hamburg fördert das gemeinsame PASBADIA-Projekt von Universität und Technischer Hochschule Lübeck mit rund 1,3 Millionen Euro. Die Projektleitung hat Prof. Dr. Horst Hellbrück vom Kompetenzzentrum CoSA (Informatik, Verteilte Systeme) der TH, stellvertretender Leiter ist Prof. Dr. Philipp Rostalski vom Institut für Medizinische Elektrotechnik der Universität.
Partner sind das Labor für Ophthalmotechnologie der TH mit Prof. Dr. Mathias Beyerlein und das Institut für Allgemeinmedizin der Universität mit Prof. Dr. Jost Steinhäuser. Das Projekt erforscht die Nutzung Künstlicher Intelligenz für die telemedizinische Augendiagnostik. Dabei steht das Akronym „PASBADIA“ für „Patientennahe Smartphone-basierte Diagnostik mit lokaler und zentraler KI-Plattform für die Primärversorgung im ländlichen Raum“.
PASBADIA ist das erste im Rahmen des neuen Förderschwerpunkts „Ingenieurwissenschaften“ der Joachim Herz Stiftung in Schleswig-Holstein geförderte Projekt. Dabei wurde die Kooperation von Universität und Technischer Hochschule bewusst ausgewählt, um interdisziplinär und institutionsübergreifend unterschiedliche Wissenschaftskulturen in einen Dialog miteinander zu bringen.
„Auf das Lübecker Forschungsprojekt sind wir aufmerksam geworden, weil es an der Schnittstelle zwischen Ingenieurwissenschaften und Medizin angesiedelt ist, zwei Bereiche, die wir als eine der größten deutschen Wissenschaftsstiftungen fördern. Außerdem ist die enge Zusammenarbeit von Universität, Technischer Hochschule und Industrie sehr unterstützenswert, weil viel mehr wissenschaftliches Know-how in marktreife Produkte überführt werden muss, wenn Deutschland Innovationsland bleiben will“, sagt Dr. Henneke Lütgerath, Vorstandsvorsitzender der Joachim Herz Stiftung anlässlich der Überreichung des Förderbescheids.
Das Projekt PASBADIA hat eine Laufzeit von vier Jahren, in denen untersucht wird, wie bspw. Hausärzte/ -ärztinnen mit einem Diagnosetool, unterstützt durch Künstliche Intelligenz (KI), eine verbesserte wohnortnahe Versorgung von Augenerkrankungen vornehmen können. Vier Doktorand*innen werden zusammen mit Masterstudierenden eine anwendungstaugliche Lösung erarbeiten, um mittels von Aufsätzen für Smartphones der Allgemeinmedizin augenheilkundliche Untersuchungen zu ermöglichen, für die bisher spezielle ophthalmologische Geräte erforderlich wären.
Das Projekt ist das erste gemeinsame, interdisziplinäre Forschungsvorhaben zur Nachwuchsförderung in TANDEM (Kompetenzzentrum für Medizintechnik) und COPICOH (Center for Open Innovation in Connected Health) auf dem Wissenschaftscampus in Lübeck. Durch die enge Verbindung und Expertise von Elektrotechnik und Informatik mit der Ophthalmotechnologie und der Medizin werden junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler befähigt, Wissen zu vertiefen, fächerübergreifend anzuwenden und einen Doktorgrad zu erlangen.
Patientennahe Smartphone-basierte Diagnostik mit lokaler und zentraler KI-Plattform für die Primärversorgung im ländlichen Raum
Projektleiter Horst Hellbrück beschreibt die Kooperation und Zusammenarbeit im Rahmen des Vorhabens: „Im Projekt PASBADIA bearbeiten wir nun gemeinsam weitere hochspannende Forschungsfragestellungen aus der Medizin und Technik. Die vierjährige Förderung durch die Joachim Herz Stiftung erlaubt es uns erstens substantielle Forschungsergebnisse zu erreichen. Zweitens fördert sie nachhaltig den wissenschaftlichen Nachwuchs durch vier gemeinsam durchgeführte interdisziplinäre Promotionen sowie das Einbinden von weiteren studentischen Mitarbeitern. Somit befördert das Projekt PASBADIA den weiteren Ausbau des gemeinsamen Wissenschaftscampus in Lübeck.
Die Präsidien der zwei Lübecker Hochschulen des Wissenschaftscampus‘ begrüßen die enge Zusammenarbeit und freuen sich über die Mittel, die sowohl dem Wissenschaftsstandort als auch der Nachwuchsförderung in gemeinsamen Zentren zu Gute kommen. Dazu die Präsidentin der Universität zu Lübeck, Prof. Dr. Gabriele Gillessen-Kaesbach: „PASBADIA bildet einen Dreiklang. Erstens in der campusweiten Kooperation herausragender Wissenschaftler, zweitens in der vertrauensvollen, institutionenübergreifenden Zusammenarbeit der Hochschulleitungen und last but not least als Ausdruck der Engagementkultur. Im Mittelpunkt steht das gegenseitige Vertrauen. Die Joachim Herz Stiftung ist somit ein Impulsgeber für den Wissenschaftsstandort.“
Der Vizepräsident für Forschung und Internationales der Technischen Hochschule Lübeck, Prof. Dipl.-Ing. Frank Schwartze ergänzte: „Das Projekt steht beispielhaft für das Leitmotiv der TH Lübeck das unsere Forschung verbindet und konkrete Wirkung erzeugt. Es trägt nicht nur dazu bei, das Wissen in diesem wichtigen Bereich entwickelt wird, sondern ist in besonderem Maße dazu geeignet durch die entwickelten Lösungen Lebensqualität konkret zu verbessern. Das Projekt verbindet Innovationen im Bereich digitaler Technologien mit den Herausforderungen im Kontext von Alterung und dem Erhalt der Daseinsvorsorge weniger gut erschlossenen Räumen. Die Förderung der Joachim Herz Stiftung gibt damit wichtige Impulse nicht nur für die weitere Kooperation und Verbindung der beiden Hochschulen, sondern auch für die Entwicklung der Region.“
Prof. Andreas Schrader, Vorstandssprecher von COPICOH, betonte: „Es handelt sich bei PASBADIA um ein gemeinsam von zwei Einrichtungen der Uni: COPICOH und TH: TANDEM beantragtes Projekt. Beide Seiten haben jeweils zwei Institute im Konsortium und die Inhalte werden von beiden Seiten zu gleichen Teilen bearbeitet. Zusätzlich zu den Mitteln für wissenschaftliches Personal gibt es noch Mittel für die Koordination und den Wissenstransfer. Wir freuen uns insbesondere, das Thema „Vernetzte Gesundheit“ im Zentrum durch neue Mitglieder aus der Technischen Hochschule mit weiteren Kompetenzen stärken zu können.“
Für das gemeinsame Kompetenzzentrum TANDEM begrüßt Prof. Stephan Klein (TANDEM-Sprecher der THL) den innovativen Baustein zur Weiterentwicklung der Forschung am Medizintechnik - Standort Lübeck und die Vertiefung der Zusammenarbeit zwischen Universität zu Lübeck und Technischer Hochschule Lübeck.
Hintergrund
In der Medizin ist oft eine schnelle, patientennahe Diagnose notwendig, z.B. bei der Überwachung des kurativen Verlaufs von Patienten mit Mobilitätseinschränkungen im ländlichen Raum. In schlecht zugänglichen oder unterversorgten Gebieten ist die Nutzung von breit verfügbaren Diagnosegeräten, ein vielversprechender Ansatz. Aktuelle Smartphones bieten sich auf Grund ihrer Verbreitung und der bereits eingebauten Sensorik und Rechenkapazität für diese Aufgabe an, werden aber zurzeit nur vereinzelt und rudimentär eingesetzt.
Die qualitativ hochwertigen Kameras zusammen mit in Smartphones verbauten Lichtquellen (LED-Blitz), erlauben die Umsetzung optischer Diagnoseverfahren aus dem Bereich klassischer Geräte, wenn an das Smartphone entsprechende Aufsätze und Anwendungen angepasst und Messdaten vor Ort ausgewertet werden.
Im Projekt sollen durch die Arbeitsgruppe Ophthalmotechnologie der TH Lübeck robuste und sicher anwendbare Aufsätze als Kombination aus spektralen, Fluoreszenz- oder Polarisations-basierten Methoden entwickelt werden, um beispielsweise im Augenhintergrund Diagnoserohdaten zu generieren und diese zu analysieren. Dabei kann die Arbeitsgruppe Ophthalmotechnologie auf jahrelange Erfahrung in der Erfassung und Bewertung von diagnostischen Daten im Bereich der Ophthalmologie zurückgreifen. Ein gut ausgestattetes Labor erlaubt zudem Referenzmessungen zu den erfassten und berechneten diagnostischen Signalen.
Moderne Methoden der statistischen Lerntheorie, heute vor allem aus dem Kontext der KI heraus bekannt, erlauben eine effiziente datenbasierte Auswertung dieser Rohdaten. Die Expertise des Instituts für Medizinische Elektrotechnik (IME) der Universität zu Lübeck im Bereich der probabilistischen graphischen Modelle und der effizienten Gaußprozessanalyse erlaubt sowohl die Integration von Vorwissen als auch von stochastischen Unsicherheitsinformationen. Die Gewinnung dieser Informationen bereits aus der Messmethodik und -technik heraus erfordert eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen der Arbeitsgruppe Ophthalmotechnologie und dem Institut für Medizinische Elektrotechnik.
Diese Daten im Spannungsfeld zwischen den Methoden der KI, der zur Verfügung stehenden Datenbasis und den begrenzten Ressourcen (und teilweise geringer bzw. fehlender Internetverbindung) verteilt zu erfassen, zu speichern und zu verarbeiten erfordert Kompetenzen, wie sie im Kompetenzzentrum Kommunikation— Systeme—Anwendungen (CoSA) vereint werden. Die Entwicklung einer derart verteilten, robusten und lernfähigen Lösung kann nur im Schulterschluss mit den anwendenden Medizinern erfolgen.
Das Institut für Allgemeinmedizin (IfA) am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Lübeck ist ausgewiesen in der Analyse von Abläufen und Prozeduren von Hausärzten. Diese Studienergebnisse bilden die Basis, um gezielt den Bedarf im Bereich der Ophthalmotechnologie in der Primärversorgung zu erheben und die gefundenen technischen Anwendungen in den Versorgungsalltag zu implementieren. Die Erfahrungen der vergangenen Jahre hat gezeigt, dass ohne eine solche implementierungswissenschaftliche Begleitung, die Mehrheit der telemedizinischen Projekte nicht über ein Pilotstadium herausgekommen sind.
In diesem Projekt werden erstmalig die Expertisen des erfolgreichen hochschulübergreifenden Kompetenzzentrums TANDEM (Technology and Engineering in Medicine) zwischen der Technischen Hochschule und der Universität zu Lübeck und dem Center for Open Innovation in Connected Health (COPICOH) zusammengebracht. Neben den Synergien, die sich für das hier vorgestellte konkrete Forschungsprojekt ergeben, entstehen hierdurch auch ganz neue Möglichkeiten der zukünftigen Zusammenarbeit zwischen den Zentren und den Hochschulen.
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