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Forschungsziele

Reduce

Forschungen zur inneren Uhr

Prof. Dr. Henrik Oster
Institut für Neurobiologie

Am Institut für Neurobiologie erforschen meine Mitarbeiter und ich die Funktion der sogenannten "zirkadianen Uhr" und ihre Rolle bei der Steuerung von Verhalten, der Wirkung von Hormonen und unserer Reaktion auf Stress. Jede Zelle unseres Körpers hat eine eigene innere Uhr, und aus dem koordinierten Zusammenspiel dieser Milliarden von Uhren entstehen Tagesrhythmen wie der Schlaf-Wach-Zyklus, das Auf und Ab der Körpertemperatur sowie Rhythmen in Energiestoffwechsel, Immunfunktion und Zellteilung. Wird das Uhrennetzwerk gestört – z.B. bei Nachtschichtarbeit oder unter Dauerstress – kann das krank machen. So haben Schichtarbeiter ein um mehr als ein Drittel höheres Risiko für Krankheiten wie Diabetes, Depression, Arteriosklerose und einige Krebsarten. Warum das so ist und wie man dagegen vorgehen kann, ist Ziel unserer Forschung.

Viele Fragen zur molekularen Funktion der zirkadianen Uhr können wir mithilfe von Zellkultur-Experimenten beantworten. Um das Zusammenspiel der Uhren verschiedener Gewebe in der Steuerung von Funktionen wie Schlaf, Lernen oder der Appetitregulation zu verstehen, braucht es aber einen intakten Organismus. Wir arbeiten dazu primär mit Mäusen. So können wir über genetische Tricks die Uhren in einzelnen Geweben ausschalten und an­schließend schauen, wie sich das auf das Schlafverhalten der Tiere oder deren Stoffwechselregulation auswirkt. Umgekehrt testen wir, ob eine Stabilisierung der zirkadianen Uhr – z.B. mit Hilfe gezielter Lichtexposition oder durch zeitlich gesteuerte Nahrungsaufnahme – der Entwicklung der oben genannten Krankheiten vorbeugen kann. Anschließen untersuchen wir anhand von Gewebeproben die molekularen Prozesse, die den Beobachtungen zugrunde liegen.

In der Neuro- und Verhaltensbiologie sind Experimente oft technisch aufwendig und zeitintensiv. Um möglichst wenig Tiere für solche Experimente zu ver­wenden, werden vor jedem Experiment genaue Fallzahlanalysen durch­geführt, um die optimale Anzahl an Versuchstieren zu bestimmen. Optimal heißt hier, dass (a) das Experiment mit ausreichender  Tierzahl durchgeführt wird, um Zufallsbefunde auszuschließen, dass aber (b) nicht mehr Tiere als unbedingt nötig im Experiment verwendet werden.

In der Chronobiologie – der Biologie der Zeit – müssen oft lange Zeiträume betrachtet werden, um Aussagen über die Dynamik eines Prozesses machen zu können. Um den Aufwand solcher Experimente – und damit die Anzahl der eingesetzten Tiere – zu reduzieren, entwickeln wir seit vielen Jahren Methoden, die eine longitudinale Beobachtung von Rhythmen an einem Tier über einen längeren Zeitraum erlauben. So haben wir vor 10 Jahren eine Methode zur Bestimmung von Hormonen aus dem Mäusekot entwickelt. Damit können wir zum Beispiel den Rhythmus des Stresshormons Corticosteron (das Cortisol-Äquivalent der Maus) über mehrere Tage mithilfe eines einzigen Tieres bestimmen, statt über denselben Zeitraum in regelmäßigen Stunden­intervallen von immer neuen Tieren Blutproben zu entnehmen, um Corticosteron-Blutwerte zu bestimmen1. In einem anderen Zusammenhang haben wir eine genetisch veränderte Maus entwickelt, die das leuchtende Glühwürmchen-Eiweiß (Luciferase) uhrenkontrolliert in ihren Zellen bildet. Wir können die Zellen und Gewebe eines einzelnen Tieres jetzt in Kultur nehmen, um über eine Messung der Lichtemission die Uhrenfunktion abzulesen2.

Neben einem besseren Verständnis der Uhrenfunktion und ihrer Auswirkung auf Physiologie und Verhalten soll unsere Forschung Ansätze liefern für Prävention und Therapie von Krankheiten beim Menschen, die mit Rhythmusstörungen einhergehen. Ein Beispiel: Schwangere Mütter mit erhöhtem Frühgeburtsrisiko erhalten in der Regel eine Behandlung mit einem Cortisol-Äquivalent (z.B. Dexamethason), um die Lungenentwicklung des Ungeborenen zu beschleunigen. Die Kinder solcher Mütter zeigen jedoch später manchmal Verhaltensauffälligkeiten und eine verminderte Belastbarkeit bei Stress. In einer Studie an Mäusen haben wir herausgefunden, dass die Tageszeit der Behandlung einen starken Einfluss auf die Spätfolgen hat und dass dieser Effekt über die innere Uhr des Ungeborenen vermittelt wird. Daraufhin haben wir die Injektionszeiten bei den (menschlichen) Früh­geborenen nachgeprüft und, tatsächlich, auch hier zeigten sich mehr Auffälligkeiten bei den Kindern, deren Mütter nachmittags oder abends behandelt wurden3. Ohne den Tierversuch hätte wohl niemand nach diesem Zusammenhang geschaut. Sollten sich die Ergebnisse in weiteren Studien bestätigen, lassen sich hieraus einfach umsetzbare Richtlinien für die Klinik ableiten.

Referenzen:

1. Oster, H. et al. The circadian rhythm of glucocorticoids is regulated by a gating mechanism residing in the adrenal cortical clock. Cell Metab. 4, 163–173 (2006).

2. Landgraf, D. et al. Oxyntomodulin regulates resetting of the liver circadian clock by food. eLife 4, e06253 (2015).

3. Astiz, M. et al. The circadian phase of antenatal glucocorticoid treatment affects the risk of behavioral disorders. Nat. Commun. 11, 3593 (2020).