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Aktuelles zur Forschung

Umdenken für die Fördermittelvergabe gefordert

Freitag, 23.06.2023

Mitglieder der Open Science Initiative Lübeck schlagen einen neuen Weg für die Zuerkennung von Forschungsgeldern vor

Die Fördermittelvergabe an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ist alles andere als optimal: von der Antragsstellung bis zur Bewilligung vergehen teilweise Monate bis Jahre, unbewilligte Anträge landen im Papierkorb. Die Auswahlkriterien sind teilweise intransparent, manche Personengruppen oder ganze Wissenschaftsstandorte werden im Begutachtungsprozess systematisch benachteiligt.

Prof. Sören Krach und Finn Lübber vom Social Neuroscience Lab der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität zu Lübeck und des UKSH Lübeck schlagen gemeinsam mit weiteren Forschenden einen neuen Weg zur Umstrukturierung der Fördermittelvergabe vor. Eine eigens dafür entwickelte App simuliert und vergleicht verschiedene Förderprogramme und soll Verbesserungen und Diskussionen im akademischen Förderprozess fördern. Der Kommentar wurde im Juni in der Fachzeitschrift Nature Human Behaviour veröffentlicht.

Die Mitglieder der Open Science Initiative Lübeck schlagen einen radikal neuen Weg vor, die Fördermittelvergabe zu verändern. Zusammen mit Forschenden an der Humboldt-Universität zu Berlin, der Akademie der Bildenden Künste München und des Max-Planck-Instituts zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern in Bonn entwickelten sie die Idee, in einer ersten Phase der Fördermittelvergabe eine Lotterie für Förderanträge entscheiden zu lassen. In einer zweiten Phase können diese mit einer höheren Annahmequote als üblich und anhand normativer Gütekriterien, statt eines kompetitiven Wettbewerbs, für eine Förderung ausgewählt werden.

Eine Lotterie für Forschungsanträge

„Anstatt viele Ressourcen für die Beantragung von Fördermitteln zu verschwenden, können Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihr Lotterielos nutzen, um die Gutachtenden mit einem qualitativ hochwertigen Antrag zu überzeugen. Dies senkt auch die Zugangshürden bei der Antragstellung, die benachteiligte Gruppen stärker trifft“, erläutert Sören Krach, Professor im Social Neuroscience Lab der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie.

Die momentan stark projektbezogene und kompetitive Art der Forschungsförderung wird kritisiert. Es gibt empirische Hinweise, dass die Qualität der Forschung darunter leidet. Uneinigkeit unter Gutachtenden, systematische Fehler im Begutachtungsprozess, Ressourcenverschwendung und am Ende eine geringe Bewilligungsquote der Anträge sind nur einige Probleme, die den Antragsprozess belasten.  

Der Vorschlag, der als Kommentar in Nature Human Behaviour veröffentlicht wurde, wird von der App „GrantInq“ begleitet. Diese ermöglicht es Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, politischen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern sowie Fördereinrichtungen, verschiedene Varianten zur Vergabe von Forschungsmitteln zu simulieren und miteinander zu vergleichen, um einen schnellen Überblick über die Effekte verschiedener Förderprogramme in Bezug auf die Forschungsqualität, Diversität sowie die Kosten des Prozesses zu gewinnen.

App simuliert verschieden Szenarien der Fördermittelvergabe

"Wir würden es sehr begrüßen, wenn Nutzerinnen und Nutzer unserer App ihre eigenen Ideen entwickeln, wie Benachteiligungen im Prozess der Auswahl zum Tragen kommen und wie die Mittelvergabe insgesamt verbessert werden könnte, um Kosten zu senken und die Fördermittelvergabe fair zu gestalten. Wir möchten eine Diskussion voranbringen, in der alle Beteiligten ihre Annahmen transparent machen und gemeinsam überlegen, wie die Forschungsförderung verbessert werden kann", erklärt Finn Lübber, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Social Neuroscience Lab der Universität.

Das interprofessionelle Team testete mit der App mehrere Szenarien bestehender Programme und neue Wege der Fördermittelvergabe und konnte zeigen, dass die Einführung einer Lotterie zum Einstieg in ein Förderprogramm die Arbeitsbelastung erheblich reduziert und Zugangsbarrieren für benachteiligte Gruppen verringert. Die Autorinnen und Autoren sind sich einig, dass die öffentlich verfügbare App (https://osi-luebeck.shinyapps.io/GrantInq) die Debatte über die Vergabe von Forschungsmittel bereichern kann. Dieser neue Weg könnte die gesamtgesellschaftlichen Kosten der Antragstellung senken, transparenter machen und helfen, die Diversität zu fördern, ohne dabei auf die Förderung qualitativ hochwertiger Anträge zu verzichten.

Prof. Sören Krach (rechts) und Finn Lübber (Foto: OSI_Luebeck)

Das Plädoyer für ein Umdenken in der akademischen Fördermittelvergabe wurde als Kommentar in Nature Human Behaviour veröffentlicht (Foto: Markus Winkler/Unsplash)