Website
Aktuelles zur Forschung

Nationales Projekt zur Versorgungsforschung

Donnerstag, 28.05.2020

Prof. Dr. Olaf Hiort und Dr. Ulla Döhnert (Foto: UKSH)

Die Pädiatrische Endokrinologie in Lübeck koordiniert eine deutschlandweite Erhebung zu Varianten der Geschlechtsentwicklung

Das Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH) und die Universität zu Lübeck gehören zu den weltweit führenden Institutionen, die Patientinnen und Patienten mit seltenen Erkrankungen betreuen und auf diesem Gebiet forschen. Hierzu werden auch die Varianten der Geschlechtsentwicklung gezählt (DSD, differences of sex development). Am Campus Lübeck wird nun ein neues deutschlandweites Projekt zur Versorgungsforschung koordiniert, das Betroffenen einen besseren Zugang zu ärztlicher Versorgung und Unterstützung im Umgang mit DSD ermöglichen soll. Federführend dabei ist Prof. Dr. Olaf Hiort, der die Sektion Pädiatrische Endokrinologie und Diabetologie sowie das Hormonzentrum für Kinder und Jugendliche des UKSH, Campus Lübeck, leitet. Das Bundesministerium für Gesundheit fördert das Projekt über eine Laufzeit von drei Jahren mit 5,2 Millionen Euro.

Die körperliche Geschlechtsentwicklung wird durch ein komplexes Zusammenwirken von Genen und Hormonen gesteuert. Viele Menschen haben dadurch natürliche genetische, hormonelle und körperliche Eigenschaften, die nicht nur weiblich oder männlich sind. „Die Bedürfnisse dieser Menschen nach einer individuellen Gesundheitsversorgung und Begleitung wurden von der medizinischen Forschung lange nicht ausreichend wahrgenommen“, sagt Prof. Hiort. Zur Verbesserung der Situation wurde von Menschen mit DSD und Mitgliedern von Fachgesellschaften eine Leitlinie erstellt, deren Empfehlungen nun mit dem geförderten Projekt umgesetzt werden sollen. „Zentren-zentrierte Versorgung von DSD über die Lebensspanne (DSDCare)“ ist der Titel dieses Projekts, das zehn Kliniken aus ganz Deutschland und zwei Selbsthilfeorganisationen verbindet. Am Campus Lübeck beteiligen sich verschiedene Einrichtungen des UKSH und der Universität zu Lübeck: neben der Sektion für Pädiatrische Endokrinologie und Diabetologie auch die Klinik für Kinderchirurgie, das Institut für Sozialmedizin und Epidemiologie sowie das Zentrum für Bevölkerungsmedizin und Versorgungsforschung. Am Campus Kiel nimmt die Klinik für Kinder- und Jugendmedizin I teil.

Im Rahmen dieses Projekts werden multiprofessionelle Kompetenzzentren aufgebaut und vernetzt, in denen die Diagnose, Beratung und eventuell erforderliche Therapie durch interdisziplinäre Teams erfolgt. Zum Standard gehören soll in allen Zentren die psychologische Begleitung der Betroffenen und ihrer Angehörigen, ebenso wie Peer-Beratungen, bei denen entsprechend geschulte Menschen mit DSD eigene Erfahrungen an andere, die in einer ähnlichen Situation sind, weitergeben. Auch sollen regelmäßig Schulungen für niedergelassene und im Krankenhaus arbeitende Ärztinnen und Ärzte stattfinden. „Durch eine Evaluation der Maßnahmen wollen wir herausfinden, was notwendig ist, um eine leitliniengerechte Versorgung aufzubauen, mit der die Patientinnen und Patienten zufrieden sind“, sagt Prof. Hiort. Die Ergebnisse könnten auch beispielhaft für andere Patientengruppen herangezogen werden.

Das campusübergreifende Hormonzentrum Nord des UKSH, an dem viele Kliniken und Institute beteiligt sind, ist bereits als europäisches Referenzzentrum für bestimmte seltene Hormonstörungen zertifiziert und im Europäischen Referenznetzwerk für seltene endokrinologische Erkrankungen (Endo-ERN) organisiert. Viele der Standards, die für die Betreuung der Menschen mit seltenen Besonderheiten der Geschlechtsentwicklung gelten sollen, wurden hier bereits etabliert. In wöchentlichen interdisziplinären Konferenzen wird zum Beispiel das Vorgehen in jedem individuellen Fall besprochen.

Wie häufig Varianten der Geschlechtsentwicklung vorkommen, lässt sich nur schätzen. Der Experte Prof. Hiort geht von 10.000 Menschen mit DSD in Deutschland aus. Manche von ihnen ordnen sich dem weiblichen oder männlichen Geschlecht zu - manche keinem von beiden, sie wählen dann oft den Personenstand „divers“.