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Freitag, 21.12.2012

Forschung

Wissenschaftserfolge 2012: Röntgenlaser-Studie zur Schlafkrankheit

Parasit Trypanosoma brucei: Molekulare Struktur des Enzyms Cathepsin B (Abbildung: Karol Nass, CFEL)

Das renommierte Fachjournal "Science" kürt die Top Ten des Jahres - Lübeck-Hamburger Nachwuchsgruppe SIAS nutzt neue Strahlungsquellen für die Strukturelle Infektionsbiologie

Die erste Entschlüsselung einer zuvor unbekannten biologischen Struktur mit einem Röntgenlaser gehört für das renommierte Fachjournal "Science" zu den zehn wichtigsten wissenschaftlichen Erfolgen des Jahres 2012. "Dieser Fortschritt zeigt das Potenzial von Röntgenlasern für die Entschlüsselung von Proteinstrukturen, die mit konventionellen Röntgenquellen nicht untersucht werden können", heißt es in einer Pressemitteilung des Journals vom 21. Dezember.

Die erste neue biologische Struktur, die mit einem Freie-Elektronen-Laser erhalten wurde, hatte ein deutsch-amerikanisches Team von Wissenschaftlern um Dr. Lars Redecke von der gemeinsamen Nachwuchsgruppe "Strukturelle Infektionsbiologie unter Anwendung neuer Strahlungsquellen (SIAS)" der Universitäten Lübeck und Hamburg, Prof. Christian Betzel von der Universität Hamburg sowie DESY-Forscher Prof. Henry Chapman vom Center of Free-Electron Laser Science (CFEL) im November in "Science" veröffentlicht (s. Pressemitteilung "Röntgenlaser liefert Bauplan für mögliches Mittel gegen Schlafkrankheit" vom 29. November 2012).

Die Forscher hatten für ihre Untersuchungen den zur Zeit weltstärksten Röntgenlaser, die Linac Coherent Light Source (LCLS) am US-Beschleunigerzentrum SLAC in Kalifornien, benutzt. Sie untersuchten winzige Mikrokristalle der inaktiven Form eines Enzyms, das für den Erreger der Schlafkrankheit, Trypanosoma brucei, lebenswichtig und damit ein lohnendes Ziel für neue Medikamente ist.

Freie-Elektronen-Röntgenlaser (XFEL) wie die LCLS oder DESYs FLASH sind relativ neue wissenschaftliche Werkzeuge zur Erzeugung hochenergetischer Röntgenstrahlung. Sie nutzen starke Teilchenbeschleuniger, mit denen Elektronen fast bis auf Lichtgeschwindigkeit gebracht werden. Anschließend durchlaufen die schnellen elektrisch geladenen Elementarteilchen einen engen Slalomkurs, auf dem sie in jeder Kurve Röntgenblitze abgeben. Diese Blitze vereinen sich zu einem intensiven Röntgenlaserpuls, mit dem ganz neue Untersuchungen möglich werden.

Mit ihrem intensiven Licht, das Milliarden Mal heller leuchtet als jede andere Röntgenquelle, übertreffen diese Instrumente die bisher bekannten Grenzen der konventionellen Röntgenkristallographie bei weitem. Am DESY in Hamburg wird zurzeit der Europäische Röntgenlaser XFEL gebaut, der 2015 seine Arbeit aufnehmen soll. "Obwohl das volle Potenzial der Freie-Elektronen-Laser erst noch ausgelotet werden muss, zeichnet sich ihr Wert bereits jetzt ab", erläutert Chapman. "Die Vermeidung von Strahlungsschäden an der Probe, die Anwendung bei Zimmertemperatur und die Möglichkeit, mikroskopische Kristalle zu untersuchen, wird enorme Auswirkungen auf die Strukturbiologie haben."

„Die ersten biologischen Experimente an der neuen Röntgenquelle waren für alle Beteiligten, bedingt durch die komplizierte Probeninjektion und Auswertungsmethodik, eine große Herausforderung“, erinnern sich Lübecks Nachwuchsgruppenleiter Dr. Lars Redecke und Doktorand Karol Nass, die beiden Erstautoren der „Science“-Studie. Derzeit ist die breite Anwendung der neuen Technik noch durch die bislang meist wenig effiziente Ausnutzung der Proben - die meisten Mikrokristalle verrinnen derzeit ungenutzt - sowie durch die nur begrenzt verfügbaren Untersuchungsplätze limitiert. "Das sind jedoch beides lösbare technische Probleme, und der European XFEL wird mit seinen geplanten 27 000 Blitzen pro Sekunde beide Fragen bereits weitreichend lösen", meint Chapman. "Langfristig wird es meiner Meinung nach spezialisierte Einrichtungen für Strukturuntersuchungen von Proteinen geben." Damit wird sich der Wissenschaft die Möglichkeit eröffnen, detailliert die Dynamik und die Wechselwirkung von Proteinen zu untersuchen.

"Insbesondere die Kombination der Freie-Elektronen-Laser-Technik mit der ebenfalls neuen Methode, Proteinkristalle in lebenden Zellen zu züchten, bietet spannende Aussichten, Proteinstrukturen zu entschlüsseln, wenn wir den Mechanismus der In-vivo-Kristallisation künftig besser verstehen", sagt Redecke. “Somit können Einblicke in Proteine ermöglicht werden, die der konventionellen Kristallographie bislang nicht zugänglich sind, beispielsweise Membranproteine, die besonders interessante Ansatzpunkte für Medikamente sind", ergänzt Betzel.

Die Röntgenlaser-Untersuchung zur Schlafkrankheit ist für "Science" einer der bemerkenswertesten wissenschaftlichen Erfolge 2012. Als Durchbruch des Jahres kürte das US-Journal die Entdeckung eines „Higgs-artigen Teilchens“, an der DESY-Forscher ebenfalls maßgeblich beteiligt waren.

Originalveröffentlichung: “Breakthrough of the Year – The Runners-Up”; “Science” 21 December 2012: 1525-1532

http://www.sciencemag.org/content/ 338/6114/1525.full#sec-6