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Donnerstag, 20.09.2018

Forschung

Neue Forschungsgruppe zum Tourette-Syndrom

Prof. Dr. Alexander Münchau (Foto: Olaf Malzahn / Universität zu Lübeck)

Von Blinzeln bis zu obszönen Gesten: Deutsche Forschungsgemeinschaft fördert Untersuchungen an der Universität zu Lübeck zur Entstehung von Tics

An der Universität zu Lübeck und der Technischen Universität Dresden wird eine standortübergreifende Forschungsgruppe zum Tourette-Syndrom eingerichtet. Senat und Hauptausschuss der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) beschlossen die Förderung am 20. September in Bonn. Charakteristisch für das Tourette-Syndrom ist das Auftreten motorischer und vokaler Tics.

Sprecher der Forschungsgruppe „Kognitive Theorie des Tourette-Syndroms – ein neuer Ansatz“ ist Prof. Dr. Alexander Münchau vom Institut für Neurogenetik, Center for Brain, Behavior and Metabolism (CBBM) der Universität zu Lübeck, und aus den Universitätskliniken für Neurologie, Pädiatrie und Psychiatrie des UKSH, Ko-Sprecher ist Prof. Dr. Christian Beste, Kognitive Neurophysiologie, Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Institut für Psychologie der Technischen Universität Dresden.

Das erstmals von dem französischen Neurologen und Psychiater Gilles de la Tourette 1884/85 umfassend beschriebene Syndrom hat in den letzten Jahren eine Wandlung durchlaufen. Lange Zeit als obskure, seltene Störung wahrgenommen, bei der es zu unwillkürlichen obszönen Gesten kommt und oft beleidigende Schimpfwörter auftreten, ist klargeworden, dass milde Ausprägungen bei Schulkindern zwischen dem sechsten und zehnten Lebensjahr mit meist vorübergehenden einfachen Tics (Blinzeln, Zwinkern, Augenverdrehen, Räuspern, Fiepen) sehr häufig vorkommen, Schätzungen zufolge bei bis zu 15 Prozent ansonsten gesunder Kinder.

Entwicklung eines übergeordneten Konzepts

Viele Betroffene sind sich der Tics nicht bewusst und folglich nicht beeinträchtigt. Das Spektrum zwischen unproblematischen vorübergehenden Tics und schwerem Tourette-Syndrom, das die Lebensqualität verringert, ist groß, die Grenzen sind fließend. Auch gibt es Hinweise darauf, dass motorisches Lernen bei Menschen mit Tics in mancherlei Hinsicht besser gelingt. Die Auffassung, dass es sich bei Tics notwendigerweise um Krankhaftes, Dysfunktionales handelt, greift daher zu kurz.

Da Menschen mit Tics auch häufig Besonderheiten in der Perzeption aufweisen, z.B. in Gestalt eines mit den Tics assoziierten Dranggefühls, und Tics sehr stark von Aufmerksamkeitsprozessen abhängen, liegt vielmehr nahe, dass es sich beim Tourette-Syndrom um eine häufige neuropsychiatrische Prototyp-Störung von Wahrnehmungs- und Handlungsauswahlprozessen handelt. Allerdings fehlt bislang ein übergeordnetes Konzept zum Verständnis dieser Störung.

Hier will die standortübergreifende Forschungsgruppe durch einen alters- und fächerübergreifenden Ansatz an den Schnittstellen von Neurologie, Psychiatrie, Pädiatrie, Kinder-und Jugendpsychiatrie sowie kognitiver und Entwicklungspsychologie einen Beitrag leisten und im Rahmen eines kognitiven Modells mit Methoden der systemischen Neurowissenschaften (EEG, MRT, TMS) die Neurobiologie von Tics und deren Bedeutung für die motorische Entwicklung systematisch analysieren. 

Forschungsgruppen der Deutschen Forschungsgemeinschaft

Forschungsgruppen der Deutschen Forschungsgemeinschaft ermöglichen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, sich aktuellen und drängenden Fragen ihrer Fachgebiete zu widmen und innovative Arbeitsrichtungen zu etablieren. Ihre maximale Förderdauer beträgt derzeit zweimal drei Jahre.
Neue Forschungsgruppen werden außerdem an den Universitäten Bonn, Duisburg-Essen, Düsseldorf, Eichstätt-Ingolstadt, Göttingen, Potsdam und Tübingen eingerichtet.

In der ersten Förderperiode erhalten die neuen Verbünde insgesamt rund 21 Millionen Euro inklusive einer 22-prozentigen Programmpauschale für indirekte Kosten der Projekte. Drei weitere Forschungsgruppen wurden für eine zweite Förderperiode verlängert. Im Ganzen fördert die DFG damit aktuell 203 Forschungsgruppen.