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Freitag, 06.10.2023

Forschung

Neue Entstehungswege der Alzheimer-Krankheit identifiziert

Prof. Dr. Lars Bertram, Leiter der Lübecker Interdisziplinären Plattform für Genomanalytik der Universität zu Lübeck ist Projektleiter der Studie. (Foto: Ronald Frommann)

Ein internationales Expertenteam der EU-geförderten „EMIF-AD“ Studie hat unter Leitung des Lübecker Genomforschers Prof. Dr. Lars Bertram, Direktor der Lübecker Interdisziplinären Plattform für Genomanalytik der Universität zu Lübeck, neue Mechanismen bei der Entstehung der Alzheimer-Krankheit identifiziert.

Die Alzheimer-Krankheit ist die häufigste Form der Demenz und betrifft immer mehr Menschen in Deutschland und weltweit. Ein besseres Verständnis der Krankheitsmechanismen, die zum Alzheimer führen, setzt die Grundlage für die Entwicklung neuer Therapie- und Präventionsoptionen. Durch die Verwendung eines neuartigen Analyseverfahrens ist es einem Forschungsteam um den Lübecker Genomforscher Prof. Dr. Lars Bertram, Leiter der Lübecker Interdisziplinären Plattform für Genomanalytik der Universität zu Lübeck, gelungen, neue Entstehungswege der Alzheimer-Krankheit zu identifizieren. Die Arbeit ist Teil der EU-geförderten „EMIF-AD“ Studie, einem Konsortium aus internationalen Expertinnen und Experten der Alzheimer-Forschung und wurde in der renommierten Fachzeitschrift „Genome Medicine“ veröffentlicht.

Demenzerkrankungen, zu denen die Alzheimer-Krankheit gehört, betreffen aktuell rund 1,8 Millionen Menschen in Deutschland. Die genaue Ursache ist bislang nicht geklärt, jedoch spielen genetische Faktoren eine wesentliche Rolle bei der Krankheitsentstehung.  Für Analysen zur Identifizierung neuer Alzheimer-Gene wurde in bisherigen Studien zumeist ein „Fall-Kontroll-Design“ verwendet. „Bei dieser herkömmlichen und stark vereinfachenden Analysestrategie gehen sehr viele klinische Informationen verloren, die für die Aufklärung neuer Krankheitsmechanismen wertvoll sein können,“ sagt Prof. Dr. Lars Bertram, Leiter der Lübecker Interdisziplinären Plattform für Genomanalytik an der Universität zu Lübeck und Projektleiter der nun publizierten Studie. „In unseren neuesten Auswertungen an fast 1.000 Individuen haben wir daher die Daten von sechs unterschiedlichen Alzheimer-Biomarkern kombiniert und konnten so das Krankheitsbild in den nachfolgenden genetischen Analysen sehr viel genauer abbilden.“ Die Forschenden konnten u.a. eine Verringerung der vom Körper produzierten Menge von GRIN2D, eines Rezeptors des Gehirnbotenstoffs Glutamat, bei der Alzheimer-Krankheit und anderen neuropsychiatrischen Erkrankungen zeigen. „Dies führt wahrscheinlich zu einer Beeinträchtigung der Funktion der Synapsen, also der Verbindungen, mit denen Nervenzellen im Gehirn untereinander kommunizieren,“ so Bertram.

Mithilfe der Kombination der Alzheimer-Biomarker konnten weiterführenden Analysen durchgeführt werden, die in einem herkömmlichen Studien-Design nicht möglich gewesen wären. „Hierbei sind sogenannte Mediationsanalysen hervorzuheben, ein statistisches Verfahren, um eine mögliche ursächliche Beteiligung der untersuchten Biomarker in der Erkrankung aufzudecken,“ erklärt Dr. Alexander Neumann vom Erasmus University Medical Center in Rotterdam, und Erstautor der Studie. „Diese Analysen legen nahe, dass es mindestens zwei Haupt-Entstehungswege der Alzheimer-Krankheit gibt.“ Das Forschungsteam fand heraus, dass ein Entstehungsweg über die Effekte der sogenannten Amyloid- und Tau-Eiweiße wirkt, der schon seit langem bekannt ist und durch das seit Jahrzehnten bekannte Alzheimer-Risikogen APOE vermittelt wird. Der zweite wichtige Entstehungsweg basiert maßgeblich auf der Reaktion des Immunsystems, die u.a. durch die Effekte der Gene TMEM106B undCHI3L1 bedingt ist, welche eine Rolle beim Transport von Zellbestandteilen und der Regulation von Entzündungsreaktionen spielen.

Darüber hinaus konnten durch die Analyse des X-Chromosoms (welches das biologische Geschlecht determiniert) sowie durch genomweite Analysen getrennt nach Geschlecht neue Erkenntnisse zum bislang ungeklärten Häufigkeitsunterschied der Alzheimer-Krankheit zwischen Männern und Frauen gewonnen werden. „Die Resultate dieses Teils der Studie zeigen, dass bestimmte Gene nur bei Männern oder nur bei Frauen zu messbaren Effekten in Bezug auf die Alzheimer-Biomarker führen,“ sagt Dr. Olena Ohlei von der Lübecker Interdisziplinären Plattform für Genomanalytik und zweite Erstautorin der Studie. „Manche Befunde deuten sogar auf gegenteilige Effekte bei Männern im Vergleich zu Frauen hin, d.h. dass bestimmte Gene das Risiko der Alzheimer-Krankheit in Frauen erhöhen, aber in Männern verringern oder umgekehrt.“ Warum dies so ist, werden erst Nachfolgestudien eruieren können.

Insgesamt zeigt die publizierte Forschungsarbeit neue Wege auf, mit Hilfe derer die Ursachen der Alzheimer-Krankheit noch besser verstanden werden können. „Im besten Fall zeigt sich, dass die von uns erstmals verwendete Methode der multivariaten, d. h. kombinierten Analyse von Biomarkern auch die Diagnose des Alzheimer-Erkrankung verbessern oder sogar zu einem früheren Zeitpunkt erlauben kann,“ fasst Bertram die Erkenntnisse zusammen. „Dafür müssen unsere Ergebnisse, wie in der Wissenschaft üblich, aber erst einmal in unabhängigen Stichproben validiert werden.“

Originalpublikation

Neumann, A., Ohlei, O., Küçükali, F. et al. Multivariate GWAS of Alzheimer’s disease CSF biomarker profiles implies GRIN2D in synaptic functioning. Genome Med 15, 79 (2023). doi.org/10.1186/s13073-023-01233-z

Kontakt für Rückfragen:


Prof. Dr. med. Lars Bertram
Universität zu Lübeck
Ratzeburger Allee 160
23562 Lübeck
Email: lars.bertram@uni-luebeck.de   
Tel.: +49 451 3101-7490