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Dienstag, 17.07.2012

Forschung

Neue Einblicke in seltene genetische Erkrankung

von links: Diana Braunholz, Juliane Eckhold, Frank Kaiser, Alev Erogullari und Felicitas Kählitz

Forscher der Universität Lübeck und der Kinderklinik Philadelphia kooperieren bei der Aufklärung des Cornelia-de-Lange-Syndroms

Neueste Forschungsergebnisse geben neue Einblicke auf dem Gebiet seltener genetischer Erkrankungen, in denen biologische Strukturen involviert sind, die u.a. die geordnete Verteilung der Chromosomen während der Zellteilung regulieren.

Im Fokus steht dabei der Cohesin-Komplex, in dem mehrere Proteine eine Art Ring bilden, der Chromosomen in bestimmten Phasen der Zellteilung umschließt und diese zusammenhält. In den letzten Jahren konnte gezeigt werden, dass Mutationen, welche die Ausbildung dieses Cohesin-Ringes stören, Erkrankungen verursachen, die unter dem Begriff der „Cohesinopathien“ zusammengefasst werden.

„Durch unsere Forschung lernen wir immer mehr darüber, welche Rolle spezifische genetischen Veränderungen, die den Cohesin-Komplex beeinträchtigen, in der menschlichen Entwicklung spielen“, sagte Dr. Frank Kaiser aus dem Lübecker Institut für Humangenetik.

In bereits veröffentlichten Studien konnte ein Zusammenhang zwischen Störungen des Cohesin-Komplexes und dem Cornelia de Lange Syndrom (CdLS) gezeigt werden. Diese multisystemische, genetische Erkrankung tritt in etwa einer von 10.000 Geburten auf und kann in ihrer Ausprägung stark variieren. Im klassischen Fall gehören zu den Krankheitsmerkmalen eine verzögerte geistige Entwicklung, Kleinwüchsigkeit, Fütterungsprobleme in der frühen Kindheit, Herzfehler, Fehlbildungen der Arme und Hände, aber vor allem die sehr charakteristischen Gesichtszüge.

Die Forschungsabteilung des Instituts für Humangenetik in Lübeck befasst sich, unter der Leitung von Dr. Frank Kaiser, vor allem mit der Aufklärung der krankheitsursächlichen Mechanismen und dem Nachweis der genetischen und funktionellen Zusammenhänge. In Kooperation mit mehreren internationalen Arbeitsgruppen, hierbei ist besonders die Arbeitsgruppe von Dr. Matthew Deardorff aus der Kinderklinik in Philadelphia (USA) hervorzuheben, werden dazu Untersuchungen sowohl bei betroffenen Patienten, als auch in Versuchsmodellen, wie in Zelllinien oder im Zebrafisch durchgeführt. In diesem Jahr wurden die neuesten Forschungsergebnisse eines Kooperationsprojektes der Arbeitsgruppen Kaiser/Deardorff in der renommierten Fachzeitschrift American Journal of Human Genetics veröffentlicht.

Für das Cornelia de Lange Syndrom wurden bisher drei Gene nachgewiesen, bei denen Mutationen einen krankheitsverursachenden Effekt auslösen. In dem aktuell veröffentlichten Artikel wird gezeigt, dass es ein weiteres Gen (RAD21) gibt, bei dem Mutationen ähnliche pathogene Auswirkungen haben, das heißt ebenfalls zu einem sehr ähnlichen Krankheitsbild führen.

In dieser Studien wurde, bei genom-weiten Untersuchungen von 101 Kindern mit klassischem CdLS und weiteren 189 mit CdLS-ähnlichen Merkmalen, in keinem der bekannten krankheitsverursachenden Gene eine Mutation nachgewiesen. Es konnte jedoch ein Bruchstückverlust (eine Deletion) auf Chromosom 8 bei einem 6-jährigen Jungen identifiziert werden, der CdLS-typische Gesichtszüge, ein verzögertes Wachstum, aber im Gegensatz zum klassischen CdLS eine nahezu normale kognitive Entwicklung zeigte. Die nachgewiesene Deletion umfasst u.a. das Gen für die Cohesin-Untereinheit RAD21, welches bisher noch nicht als Ursache für das Syndrom beschrieben wurde.

Aufgrund der sehr mild ausgeprägten Krankheitsmerkmale bei diesem Patienten, wurden weitere drei Kinder mit einer Deletion in RAD21 und zwei mit einer Mutation innerhalb dieses Gens identifiziert und näher untersucht. Die Untersuchungen ergaben große Überlappungen der klinischen Merkmale mit dem bereits bekannten Jungen mit der Deletion auf Chromosom 8. Die Ähnlichkeiten beziehen sich dabei zum einen auf die für ein CdLS auftretende Kleinwüchsigkeit und die charakteristischen Gesichtszüge, zum anderen aber besonders auf die für das Syndrom eher untypische fast normale geistige Entwicklung der Patienten. „Unsere Ergebnisse lassen darauf schließen, dass gerade die eher mild betroffenen Kinder mit dieser Erkrankung klinisch bisher nicht dem CdLS zugeordnet und somit oftmals erkannt blieben, “ sagten Dr. Kaiser und Dr. Deardorff.

Zur Aufklärung der molekularen Mechanismen bei Cohesinopathien wurden weitere Studien in verschiedenen Versuchsmodellen, wie in humanen Zellen und im Zebrafisch durchgeführt. Das RAD21-Protein bildet als Untereinheit des Cohesin-Komplexes eine Art Sicherungs-Haken, der den Ring verschließt, während die DNA von diesem umgeben wird. Die Versuchsergebnisse zeigten, dass die nachgewiesenen Mutationen im RAD21-Gen den Ringschluss abschwächen und die normalen Abläufe während der Zellteilung aufgrund dessen gestört werden.

Mit den aktuellen Forschungsergebnissen können dennoch keine genauen Aussagen über die Abfolge der molekularen Mechanismen gemacht werden. Daher sind zusätzliche Studien notwendig, um unser Wissen über die ablaufenden Prozesse erweitern zu können.

In Zeiten der Exome- bzw. Genom-Sequenzierung ist zu erwarten, dass weitere Gene, die bei Cohesinopathien eine Rolle spielen, entdeckt werden, was den Forschern zusätzliche Indizien liefern wird herauszufinden, welchen Einfluss diese Erkrankungen auf die menschliche Entwicklung nehmen. „Zum jetzigen Zeitpunkt können wir davon ausgehen, dass Patienten mit einer RAD21-Mutation weniger stark betroffen sind, als Patienten mit klassischem CdLS, “Dr. Kaiser. „Je mehr wir die Mechanismen dieser erblichen Erkrankungen verstehen, desto mehr bietet sich die Chance bessere Behandlungen für unsere Patienten zu entwickeln.“