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Dienstag, 25.10.2016

Forschung

Lübecker Wissenschaftlerin gleich zweifach ausgezeichnet

Dr. Anja Kerstein (Foto: Uni Lübeck)

Dr. Anja Kerstein erforscht neue Wege zur Heilung von heute noch unheilbaren rheumatischen Erkrankungen

Dr. rer. nat. Anja Kerstein aus der Universitätsklinik für Rheumatologie Lübeck ist für ihre Forschungsarbeiten zu rheumatischen Erkrankungen mit dem Preis im Ideenwettbewerb der Rheumastiftung und mit einem Posterpreis der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie ausgezeichnet worden.

„Neue Wege zur Heilung von heute noch unheilbaren rheumatischen Erkrankungen“ ist ein zentraler Leitsatz der Rheumastiftung. Die gemeinnützige Stiftung, gegründet von der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh) und der Deutschen Rheuma-Liga, fördert Projekte aus Grundlagen- und klinischer Forschung, die es ermöglichen, mit besseren Therapieansätzen die Heilungschancen rheumatischer Erkrankungen zu steigern. Unter dem Motto „Den Rheumaschmerz verstehen und ausschalten, Chronifizierung verhindern, die Krankheitsentstehung besser verstehen und Grundlagen für neue Therapien bei Spondyloarthritis oder Vaskulitis entwickeln“ wurde der diesjährige Ideenwettbewerb ausgeschrieben, der mit freundlicher Unterstützung durch die Lilly Deutschland GmbH mit 2500 Euro dotiert war.

Dr. Anja Kerstein forscht seit 2011 als Molekularbiologin in der klinischen Forschergruppe von Prof. Dr. Peter Lamprecht auf dem Gebiet der Vaskulitiden. Vaskulitiden sind ent-zündliche Systemerkrankungen der Blutgefäße, die schwere Organschäden hervorrufen und nicht selten lebensgefährlich verlaufen. Dr. Kerstein wurde beim diesjährigen Ideenwettbewerb der Rheumastiftung für einen neuen Forschungsansatz bei einer besonders schweren Form der Vaskulitis, der Granulomatose mit Polyangiitis (GPA), ausgezeichnet.

Die GPA ist eine schwere, mit Gewebezerstörung und Organversagen einhergehende systemische Entzündung der Atemwege und Lunge sowie der Blutgefäße, die unbehandelt rasch zum Tode führt. Die Krankheit kann heute zwar medikamentös kontrolliert, aber sie kann nicht geheilt werden. Zudem können Vaskulitis- und Therapie-assoziierte Komplikationen den weiteren Verlauf erschweren. Obwohl die genaue Ursache der GPA noch unbekannt ist, sind einzelne Schritte der Pathogenese aufgeklärt. Unter anderem ist bekannt, dass bestimmte Abwehrzellen, die neutrophilen Granulozyten, auf ihrer Oberfläche ein Enzym, die Proteinase 3, präsentieren.

Durch einen bisher nicht geklärten Mechanismus wird die Proteinase 3 als Autoantigen, d.h. als fremd erkannt. Das Immunsystem wird dadurch fälschlicherweise aktiviert und bildet unter dem Einfluss weiterer entzündungsfördernder Faktoren Autoantikörper gegen die Proteinase 3 (sog. ANCA: anti-Neutrophile zytoplasmatische Autoantikörper). ANCA können dann an ihr Zielantigen Proteinase 3 auf den neutrophilen Granulozyten in der Gefäßstrombahn binden und dadurch die neutrophilen Granulozyten aktivieren, was zu einer Gefäßentzündung führt. Kürzlich wurden neue Einflussfaktoren entdeckt, die an diesem Prozess beteiligt sind, so genannte Alarmine. Diese körpereigenen Gefahrenmoleküle aktivieren bei unkontrollierter Freisetzung das Immunsystem und können so die Autoimmunreaktion begünstigen.

In ihrer Dissertation „Zur Rolle von High-Mobility Group Box 1 Protein in der Granulomatose mit Polyangiitis“  konnte Dr. Kerstein erstmals zeigen, dass bestimmten Alarminen im Prozess der Autoantigenerkennung eine besondere Rolle zukommen könnte und dass sie somit eine zentrales therapeutisches Ziel darstellen, um in die Krankheitsinitiierung einzugreifen. Die Forschungsidee von Dr. Kerstein zielt darauf ab, den Mechanismus der Alarmin-vermittelten Entzündungsvorgänge bei der GPA aufzuklären mit dem Ziel, über eine therapeutische Beeinflussung von Alarminen die Entwicklung der Autoimmunreaktion zu unterbinden und damit die chronische Entzündung der Blutgefäße zu stoppen. Mit diesem Konzept konnte sie sich gegenüber zahlreichen Konkurrenten durchsetzen und die Jury der Rheumastiftung überzeugen. Die Preisverleihung erfolgte im Rahmen der Eröffnungsveranstaltung des 44. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie am 31. August in Frankfurt am Main.

Darüber hinaus wurde Dr. Kerstein auf dem 44. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie für ihre Posterpräsentation mit dem Titel „Multiple factors drive alterations of the total T-cell compartment in granulomatosis with polyangiitis" in der Kategorie „Experimentelle Rheumatologie“ mit einem Posterpreis prämiert. Durch einen kombinierten Ansatz aus genetischen und phänotypischen Analysen konnte die Forschergruppe neue Ursachen für die Expansion von Effektor-Gedächtnis-T-Zellen in der GPA identifizieren. Umweltfaktoren und entzündliche Prozesse, insbesondere eine gleichzeitige Epstein-Barr-Virus- und Zytomegalievirus-Infektion sind hier maßgebliche Auslöser. Diese Erkenntnis wird zukünftige Therapiekonzepte beeinflussen.

Dr. Kerstein verfasste ihre Dissertation zur Rolle von Alarminen bei der GPA im Rahmen des Graduiertenkollegs 1727 „Modulation von Autoimmunität“ (Sprecher: Prof. Dr. Detlef Zillikens (Direktor der Universitätsklinik für Dermatologie, Allergologie und Venerologie in Lübeck) und promovierte 2015 unter der Leitung von Prof. Dr. Peter Lamprecht an der Klinik für Rheumatologie in Lübeck (Direktorin: Prof. Dr. Gabriela Riemekasten). Seit 2015 ist sie als Postdoktorandin in der klinischen Forschergruppe unter der Leitung von Prof. Dr. Peter Lamprecht beschäftigt und forscht an dem Thema der Toleranzdurchbrechung bei der GPA mit dem Ziel, die Ursache von  chronischer Entzündung und Autoimmunität bei GPA zu verstehen und dadurch neuen Therapiekonzepten den Weg zu ebenen.