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Freitag, 28.01.2022

Forschung

Leid und Unrecht in der Psychiatrie (1949-1990)

Prof. Cornelius Borck forscht zur Situation in der Psychiatrie und in Einrichtungen für Behinderte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts (Foto: Hans-Jürgen Wege)

Abschlussbericht über die Situation von Kindern und Jugendlichen in Schleswig-Holstein veröffentlicht

Im Auftrag des Sozialministeriums Schleswig-Holstein hat das Institut für Medizingeschichte und Wissenschaftsforschung (IMGWF) im Zeitraum von 2018 bis 2021 zwei Studien zur Situation in der Psychiatrie und Einrichtungen der Behindertenhilfe in Schleswig-Holstein in der Nachkriegszeit durchgeführt.

Anlass für diese Studien waren die breite öffentliche Diskussion über Medikamentenversuche im ehemaligen Landeskrankenhaus Schleswig und Zeugnisse von Betroffenen über Gewalt- und Missbrauchserfahrungen. Die erste Studie behandelte deshalb die Medikamentenversuche in der schleswig-holsteinischen Psychiatrie in den Jahren 1949-1975, die zweite Studie untersuchte die Erfahrungen von Leid, Unrecht, Gewalt und Misshandlungen von Kindern und Jugendlichen in psychiatrischen Einrichtungen beziehungsweise Einrichtungen der Behindertenhilfe im Zeitraum von 1949 bis 1990.

Auswertung von Interviews

Jetzt wurde der Abschlussbericht der zweiten Studie veröffentlicht. Für diese Arbeit hat das Team der Universität zu Lübeck um Prof. Cornelius Borck mit Prof.in Gabriele Lingelbach, Historisches Seminar, und Prof. Sebastian von Kielmansegg, Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Medizinrecht von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel zusammengearbeitet. Sie haben Interviews mit Betroffenen, Angehörigen und ehemaligen Mitarbeitenden geführt und darüber hinaus die vorhandenen Aktenüberlieferungen und die zeitgenössische Medienberichterstattung ausgewertet.

Im Fokus standen dabei die kinder- und jugendpsychiatrische Abteilung Schleswig-Hesterberg, die Schleswiger Schule für Minderjährige mit Hörbeeinträchtigungen sowie ein Heim für Kinder mit geistigen Behinderungen in Wyk auf Föhr. Die wissenschaftliche Aufarbeitung zeichnet ein erschreckendes Bild von Vernachlässigung und Misshandlungen, die Kinder und Jugendliche in schleswig-holsteinischen Institutionen erfahren mussten: Die Mehrheit der Betroffenen berichtete in einem schockierenden Ausmaß von Schlägen,  Zwang, Missbrauch, medikamentöser Ruhigstellung und Ausbeutung, unter deren Folgewirkungen sie bis heute zu leiden haben.

Gravierende Missstände

Prof. Cornelius Borck: „In allen von uns untersuchten Einrichtungen kam es regelmäßig zu Gewalt, obwohl die Misshandlung von Schutzbefohlenen bereits damals dienstrechtlich verboten war. Unsere Ergebnisse unterstreichen die Notwendigkeit eines wirksamen Schutzes von minderjährigen Patient:innen und Bewohner:innen.“

Die Studie konnte ferner zeigen, dass die Reformbemühungen in Psychiatrie und Behindertenhilfe auf Bundesebene nach der „Psychiatrie-Enquête“ der 1970er Jahre in Schleswig-Holstein nur verhalten und verzögert Niederschlag fanden. Die gravierenden Missstände in der psychiatrischen und heilpädagogischen Unterbringungspraxis blieben bis zum Ende des Untersuchungszeitraums 1990 weitgehend bestehen.

Der Abschlussbericht dieser Studie zu Erfahrungen von Leid und Unrecht steht zum Download zur Verfügung (siehe unten) und kann auf Wunsch auch zugeschickt werden.

Die erste Studie hatte die Medikamentenversuche in psychiatrischen Einrichtungen in Schleswig-Holstein in den Jahren 1949 bis 1975 zum Gegenstand und wurde 2020 abgeschlossen. Sie steht ebenfalls zum Download bereit (siehe unten).

Ansprechpartner:

Prof. Dr. Cornelius Borck

Institut für Medizingeschichte und Wissenschaftsforschung

E-Mail: cornelius.borck(at)uni-luebeck(dot)de

Telefon: 0451/3101-3401

 

Die Studien und weitere Infos:

Studie über die Praxis der Medikamentenversuche in schleswig-holsteinischen Einrichtungen der Behindertenhilfe sowie in den Erwachsenen-, Kinder- und Jugendpsychiatrien in den Jahren 1949 bis 1975

Studie zu Leid und Unrecht bei der Unterbringung von Kindern und Jugendlichen in schleswig-holsteinischen Einrichtungen der Behindertenhilfe und der Kinder- und Jugendpsychiatrie in den Jahren 1949 bis 1990

Pressemitteilung des Ministeriums für Soziales, Gesundheit, Jugend, Familie und Senioren des Landes Schleswig-Holstein