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Mittwoch, 23.05.2012

Forschung

Freiheitseinschränkende Maßnahmen in Pflegeheimen können reduziert werden

Studie ergab weder eine Zunahme von Stürzen oder sturzbedingten Verletzungen noch eine vermehrte Verordnung von Psychopharmaka

Der Einsatz von Bettgittern und Gurten im Stuhl oder im Bett – sogenannte Freiheitseinschränkende Maßnahmen (FEM) in der Pflege – lässt sich mit einem neu entwickelten Leitlinien-gestützten Programm reduzieren. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie, die in der aktuellen online-Ausgabe der renommierten Fachzeitschrift „Journal of the American Medical Association (JAMA)“ veröffentlicht wurde.

Erstautor ist Prof. Dr. phil. Sascha Köpke, mittlerweile Leiter der Sektion für Forschung und Lehre in der Pflege am Institut für Sozialmedizin der Universität zu Lübeck und des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein, Campus Lübeck. Die Studie wurde von einer Forschergruppe der Universitäten Hamburg und Witten/Herdecke durchgeführt.

FEM sind ethisch umstritten und gesetzlich als letztes Mittel der Wahl vorgesehen. Eine frühere Studie ergab, dass in Hamburger Pflegeheimen sogenannte Fixierungen bei 26 Prozent der Heimbewohner angewendet werden – in den häufigsten Fällen sind es Bett-gitter.

Für die aktuelle Studie wurden per Zufallsverfahren 18 Pflegeheime einer Interventionsgruppe und 18 Heime einer Kontrollgruppe zugeteilt. In der Interventionsgruppe schulten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler alle Pflegekräfte nach der neuen Leitlinie. Außerdem wurden spezielle FEM-Beauftragte benannt und Informationsmaterialien für Bewohner, Angehörige, gesetzliche Betreuer und Pflegekräfte bereitgestellt. Zudem versicherten die Heime der Interventionsgruppe mit einer Deklaration, sich für die Reduktion von FEM einzusetzen. Die Kontrollgruppe hingegen erhielt eine kurze schriftliche und mündliche Information über FEM.

Während der sechs Monate des Untersuchungszeitraums sank die Anzahl der mit FEM versehenen Bewohner in den Interventionsheimen von 31,5 auf 22,6 Prozent. In der Kontrollgruppe blieb die Zahl der FEM nahezu unverändert: 30,6 Prozent bei Studienbeginn und 29,1 Prozent am Ende der Studie. In der Interventionsgruppe wurden alle Arten von FEM reduziert. Im Vergleich mit den Pflegeheimen der Kontrollgruppe zeigte sich, dass es keine negativen Auswirkungen gab. So kam es weder zu einer Zunahme von Stürzen o-der sturzbedingten Verletzungen noch zu einer vermehrten Verordnung von Psychopharmaka.

Die Forschergruppe kommt zusammenfassend zu dem Ergebnis, dass es unter den aktu-ellen finanziellen und personellen Bedingungen in den Pflegeheimen möglich ist, FEM mittels des entwickelten Programms wirksam und sicher zu reduzieren. Das erprobte In-terventionsprogramm steht zur Verankerung in die Pflege in Deutschland bereit und ist online abrufbar: http://www.leitlinie-fem.de.

Das Projekt wurde seit 2007 im Rahmen des Pflegeforschungsverbundes Nord vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. Die Leitung hatte in Hamburg der Gesundheitswissenschaftler Dr. Sascha Köpke, jetzt Professur für Pflegeforschung Universität Lübeck, und in Witten die Pflegewissenschaftlerin Prof. Dr. Gabriele Meyer.

Das Thema Freiheitseinschränkender Maßnahmen im Krankenhaus wird im Rahmen der Forschungsaktivitäten der Sektion für Forschung und Lehre in der Pflege am Lübecker Institut für Sozialmedizin weiter verfolgt. Eine Implementierungsstudie ist in Vorbereitung.

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Effect of a Guideline-Based Multicomponent Intervention on Use of Physical Restraints in Nursing Homes. A Randomized Controlled Trial. Sascha Köpke, Ingrid Mühlhausen, Anja Gerlach, Antonie Haut, Burkhard Haastert, Ralph Möhler, Gabriele Meyer (JAMA, May 23/30, 2012 – Vol. 307, No. 20, 2177-2184).

Prof. Dr. Sascha Köpke