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Dienstag, 04.12.2012

Forschung

Die genetischen Ursachen des Herzinfarktes sind breiter verwurzelt

Ergebnisse der weltweit größten genetischen Studie zu Herzkreislauferkrankungen in Nature Genetics veröffentlicht – Erfolgreicher wissenschaftlicher Start für das neu gegründete Institut für Integrative und Experimentelle Genomik der Universität zu Lübeck

Ein globales Forschungskonsortium hat in der bislang größten Studie die erblichen Ursachen des Herzinfarktes genauer definiert. Das Team, welches auch von Prof. Dr. Jeanette Erdmann, Lübeck, und Prof. Dr. Heribert Schunkert, München, geleitet wird, hat 104 Genorte entdeckt, die mit großer Sicherheit zum Herzinfarktrisiko beitragen.

Insgesamt 46 Chromosomenabschnitte können nun mit genomweiter Signifikanz, d.h. der höchsten Stufe der statistischen Gewissheit, als ursächlich für die bedrohliche Erkrankung angesehen werden. Damit ist das Herzinfarktrisiko viel stärker genetisch verwurzelt als bislang angenommen.

Prof. Erdmann erklärt, dass Fettstoffwechselstörungen und Entzündungsreaktionen als bedeutendste Ursachen für die Entstehung der koronaren Herzerkrankung (KHK) und des Herzinfarktes angesehen werden können, wenn man die Gene nach ihrer Funktion gruppiert. Prof. Schunkert ergänzt, dass aber die Mehrzahl der entdeckten Genvarianten bislang noch unbekannte Mechanismen in Gang setzt und die Arbeit somit völlig neue Möglichkeiten eröffnet, den Ursachen der Gefäßverkalkung (Atherosklerose) auf den Grund zu gehen.

Jedes Jahr sterben in Europa rund 750.000 Menschen an einem Herzinfarkt. Die zugrunde liegende Atherosklerose der Herzkranzarterien und der Herzinfarkt gehören damit in Deutschland zu den mit Abstand häufigsten Todesursachen. Neben traditionellen Risikofaktoren wie Alter, Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörungen, Diabetes mellitus und Zigarettenrauchen spielt die vererbte Veranlagung eine erhebliche Rolle bei der Entstehung der Erkrankung.

In den letzten Jahren ist es zwar gelungen, etliche Risikogene zu identifizieren, trotzdem sind die genetischen Ursachen bislang nicht hinreichend aufgeklärt. Gemeinsam mit mehr als 180 Wissenschaftlern aus der ganzen Welt konnten nun deutsche Forscher, gefördert durch das BMBF, 15 neue Risikogene für die KHK und dem Herzinfarkt nachweisen. Damit sind nun 46 Risikogene für die KHK und den Herzinfarkt bekannt. Zusätzlich konnten weitere 104 Risikogene identifiziert werden, die sehr wahrscheinlich das Krankheitsrisiko erhöhen. Die Ergebnisse werden am 2. Dezember 2012 im hoch angesehenen Wis-senschaftsjournal Nature Genetics publiziert.

Die Identifizierung dieser Vielzahl von Risikogenen erlaubt nun erstmalig weitergehende Analysen. Diese bestätigten zunächst, dass Störungen des Fettstoffwechsels und die Inflammation von sehr großer pathophysiologischer Relevanz für die Erkrankung sind. Zusätzlich gelangen aber auch völlig neue Einsichten in die Krankheitsentstehung, die mittel- bis langfristig bislang ungeahnte Möglichkeiten für die Prävention und Therapie möglich machen.

Das globale Konsortium CARDIoGRAMplusC4D, an dem Wissenschaftler des DZHK (Deutsches Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung, Standorte Lübeck und München), des neu gegründeten Instituts für Integrative und Experimentelle Genomik (Direktorin: Prof. Dr. rer. nat. Jeanette Erdmann) der Universität zu Lübeck sowie des Deutschen Herzzentrums München (DHM) bzw. der Technischen Universität München (Direktor: Prof. Dr. med. H. Schunkert) federführend beteiligt sind, hat für diese weltweit beispiellose Studie 60.000 Patienten mit koronarer Herzkrankheit und 130.000 gesunde Personen untersucht, um Regionen im menschlichen Genom, die mit einem erhöhten KHK-Risiko vergesellschaftet sind, aufzuspüren.

Diese bislang weltweit größte genetische Studie zu kardiovaskulären Erkrankungen war nur durch die hervorragende Kooperation von Forschern aus Europa (Deutschland, Großbritannien, Island, Schweden, Finnland, Frankreich, Italien, Griechenland), Libanon, Pakistan, Korea, USA, Kanada und China möglich.
Durch die gleichzeitige Analyse von mehr als zwei Millionen über das gesamte Genom verteilten Genvarianten (sog. SNPs) in annähernd 200.000 Probanden wurde die Identifikation von neuen, bislang unbekannten Risikogenen möglich. Auf Basis dieser überwältigenden Datenfülle konnten nun erstmalig auch weiterführende Analysen durchgeführt werden und bekannte sowie bislang unbekannte Pathomechanismen aufgedeckt werden.

Von besonderer Bedeutung ist, dass nun basierend auf Hypothesen-frei generierten Daten der Fettstoffwechsel sowie die Inflammation als besonders wichtige Pathomechanismen bestätigt wurden. Insbesondere der Zusammenhang zwischen Inflammation und KHK wird zukünftig im Rahmen des Exzellenzclusters „Inflammation at Interfaces“ der Universitäten Lübeck und Kiel funktionell untersucht werden.

Die Ergebnisse werden von Heribert Schunkert vom Deutschen Herzzentrum München (DHM) und der Technischen Universität München (TUM) erklärt: „Trotz der Bedeutung der bekannten Risikofaktoren trifft der Herzinfarkt viele Menschen völlig unerwartet. Die Arbeiten legen den Grundstein für die System-medizinische Aufklärung der Krankheitsentstehung. Ultimativ können so neue Ansätze zur Prävention entwickelt werden“.

Jeanette Erdmann aus dem Institut für Integrative und Experimentelle Genomik der Universität zu Lübeck ergänzt: „Die Erkenntnisse führen nun zu funktionellen Analysen der identifizierten Risikogene im Labor. Hierdurch erhoffen wir uns dann mittelfristig neue therapeutische Ansätze zum Wohle der Patienten“.

Referenz
The CARDIoGRAMplusC4D Consortium (2012): „Large-scale association analysis identifies new risk loci for coronary artery disease“. Published online in Nature Genetics on 02 December 2012. DOI: 10.1038/ng.2480

Prof. Dr. Jeanette Erdmann (Foto: Wolfgang Langenstrassen)