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Dienstag, 29.09.2020

Forschung

Das Komplementsystem reguliert die Schutzbarriere des Gehirns während des Alterungsprozesses

Hochregulation des Adhäsionsmoleküls VCAM-1, assoziiert mit vermehrter Einwanderung von Lymphozyten und konsekutiv erhöhter Permeabilität der Blut-Hirn-Schranke (Abb.: Propson et al. 2020)

Der natürliche Alterungsprozess umfasst funktionelle und strukturelle Veränderungen innerhalb des Gehirns

Eine wichtige altersabhängige Veränderung ist die vermehrte Durchlässigkeit der Blut-Hirn-Schranke, was u.a. die Entstehung von neurodegenerativen Erkrankungen wie die Alzheimerdemenz begünstigen kann. Eine Reihe von Studien legt nahe, dass die vermindert Funktion der Blut-Hirn-Schranke mit immunologisch-bedingten Entzündungsprozessen assoziiert ist. Der Zusammenhang ist jedoch bisher wenig verstanden. Mithilfe von in vivo und in vitro Modellen hat jetzt der Lübecker Immunologe Prof. Dr. Jörg Köhl zusammen mit Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Hui Zheng (Huffington Center on Aging, Houston, USA) einen neuen Mechanismus identifiziert, durch den das Komplementsystem die Gefäßentzündung und die damit assoziierte Dysfunktion der Blut-Hirn-Schranke während des Alterungsprozesses reguliert. Diese Studie ist kürzlich in der Fachzeitschrift „Journal of Clinical Investigation“ erschienen.

Das Komplementsystem ist Teil des angeborenen Immunsystems. Es ist seit längerem bekannt, dass Komplementfaktoren und -rezeptoren sowohl autonom im Gehirn produziert werden als auch in bzw. auf Gefäßendothelzellen. Von besonderer Bedeutung ist der Komplementfaktor C3, der proteolytisch in C3b und C3a gespalten werden kann. Die biologischen Funktionen von C3a werden durch Aktivierung des C3a Rezeptors vermittelt, der auf Gefäßendothelzellen und verschiedenen Gehirnzellen exprimiert ist. In der jetzt publizierten Studie konnten die Wissenschaftler zeigen, dass im alternden Gehirn die C3/C3a Produktion zunimmt und es zu einer Aktivierung von C3aR auf Gefäßendothelzellen des Gehirns kommt. Dies führt zur Hochregulation des Adhäsionsmoleküls VCAM-1, assoziiert mit vermehrter Einwanderung von Lymphozyten und konsekutiv erhöhter Permeabilität der Blut-Hirn-Schranke (siehe Abbildung).

Entscheidend für die Aufklärung dieses neuen Pathomechanismus war der Einsatz eines transgenen Mausstamms, in dem der C3aR gezielt in Endothelzellen ausgeschaltet wurde. Dieser Mausstamm wurde mithilfe der Unterstützung des EXC 306 generiert. Die spezifische Deletion des C3aR in den Gefäßendothelzellen reduzierte zudem die entzündliche Aktivität von Mikrogliazellen und vergrößerte das Volumen des Hippocampus und des zerebralen Cortex im Gehirn von alternden Mäusen im Vergleich zu Wildtyptieren. Der Hippocampus ist von besonderer Bedeutung für Lern- und Gedächtnisprozesse.

Zusammenfassend zeigen die Befunde eine neue Komplementvermittelte Regulation der Blut-Hirn-Schranke, der Immunzellaktivierung und Neuroinflammation bzw. Neurodegeneration im alternden Gehirn auf.  Die Daten deuten darauf hin, dass die Blockierung komplementbedingter Effekte zu einer wesentlichen Verbesserung der vaskulären Funktion und der Permeabilität der Blut-Hirn-Schranke führen könnte und damit zu einer Verringerung der Neuroinflammation sowie Neurodegeneration im Alter. Interessanterweise kommt es sowohl bei akuten Entzündungszuständen wie Schlaganfall und Schädel-Hirn-Trauma als auch bei neurodegenerativen Erkrankungen, insbesondere Alzheimer, bei denen das Alter der größte Risikofaktor ist, zu einer starken Komplementaktivierung. Damit eröffnen die Ergebnisse auch neue Ansätze für die Therapie dieser altersbedingten Erkrankungen des Gehirns.

Publikation:

Propson N.E., Roy E.R. Litvinchuk A., Köhl J., Zheng H. Endothelial C3a receptor mediates vascular inflammation and BBB permeability during aging. 2020; first published Sep 29, 2020.
www.jci.org/articles/view/140966