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Mittwoch, 17.04.2019

Forschung

Barrieren zur medizinischen Rehabilitation abbauen

Preisverleihung mit Prof. Dr. Patrick Brzoska (Witten/Herdecke), Tugba Aksakal (Witten/Herdecke und Bielefeld), Prof. Dr. Oliver Razum (Bielefeld) und Prof. Dr. Ruth Deck (Lübeck; v.l.n.r.)

Preis für Rehabilitationsforschung an Gemeinschaftsprojekt aus Lübeck, Bielefeld und Witten/Herdecke – Besondere Defizite für Menschen mit Migrationshintergrund

Für ihre Forschungen zu Versorgungserwartungen von Menschen mit Migrationshintergrund wurden zwei Lübecker Sozialmedizinerinnen zusammen mit den Projektpartnern der Universitäten Bielefeld und Witten/ Herdecke mit dem diesjährigen Preis für Rehabilitationsforschung der Gesellschaft für Rehabilitationswissenschaften Nordrhein-Westfalen ausgezeichnet. Die Preisverleihung fand am 17. April 2019 im Rahmen des Rehabilitationswissenschaftlichen Kolloquiums in Berlin statt. Aus Lübeck waren an dem Gemeinschaftsvorhaben Prof. Dr. Ruth Deck, Leiterin des Fachbereichs Rehabilitation am Institut für Sozialmedizin und Epidemiologie der Universität zu Lübeck und des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein, Campus Lübeck, und Dr. Jana Langbrandtner, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Bereichs, beteiligt.

Obwohl Menschen mit Migrationshintergrund teilweise einen höheren Rehabilitationsbedarf haben, nehmen sie Maßnahmen medizinischer Rehabilitation seltener in Anspruch als Menschen ohne Migrationshintergrund. Diejenigen, die Rehabilitation nutzen, weisen im Vergleich zur Mehrheitsbevölkerung oft schlechtere Rehabilitationsergebnisse auf. Die Forscherinnen und Forscher aus Lübeck, Bielefeld und Witten/Herdecke haben die Ursachen dafür erforscht und sich hierbei vor allem dem Aspekt der Versorgungserwartungen gewidmet.

Im Rahmen des Projektes „Versorgungserwartungen von Menschen mit Migrationshintergrund und Möglichkeiten ihrer Berücksichtigung in der medizinischen Rehabilitation“ (VeReMi) führten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Befragungen mit Hausärztinnen und Hausärzten, Rehabilitandinnen und Rehabilitanden sowie Gesundheitspersonal in Rehabilitationseinrichtungen durch und befragten orthopädische Rehabilitationseinrichtungen. Alle Erhebungen fanden in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein statt. Finanziert wurde das Projekt von der Deutschen Rentenversicherung Bund sowie dem Verein zur Förderung der Rehabilitationsforschung in Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein (vffr).

„Um Barrieren beim Zugang zur medizinischen Rehabilitation abzubauen, kommt vor allem einer migrationssensiblen Informationsgestaltung  eine besondere Bedeutung zu“, sagt Prof. Dr. Ruth Deck. „Hier konnten wir deutliche Defizite feststellen.“ Menschen mit Migrationshintergrund, die relativ wenig über die medizinische Rehabilitation wissen, gingen mit ganz unterschiedlichen, oft falschen Erwartungen in die Reha-Einrichtung, seien dann enttäuscht und könnten sich auf die einzelnen Therapien nicht mehr richtig einlassen. Erschwerend komme hinzu, dass auch die behandelnden Ärzte nicht ausreichend oder nur schlecht über die medizinische Rehabilitation informiert seien. „Ein Befund, den wir schon aus früheren Studien kennen“, so Prof. Deck. Eine Homepage für niedergelassene Ärzte (www.rehainfo-aerzte.de) soll hier Abhilfe schaffen.

Eine relativ einfache Möglichkeit, Informationsdefizite bei allen Beteiligten zu reduzieren, wären zusätzlich die Webseiten von Rehabilitationseinrichtungen. „Allerdings stellen nur wenige Versorgungseinrichtungen Informationen zu migrationssensiblen Versorgungsangeboten auf ihren Webseiten bereit“, weiß Dr. Jana Langbrandtner, die die entsprechenden Webseiten untersucht hat. „Ziel sollte daher sein, einfach verständliche, niedrigschwellige und bedarfsgerechte Informationen anzubieten, die die mit der Reha-Inanspruchnahme verbundenen Ängste und Unklarheiten chronisch kranker Menschen mit Migrationshintergrund abbauen und realistische Erwartungen an die Rehabilitation fördern können.“

Gründe für die geringere Inanspruchnahme von Rehabilitation, aber auch anderer Präventionsmaßnahmen, liegen vor allem in Zugangsbarrieren, denen Menschen mit Migrationshintergrund im Gesundheitssystem begegnen. Dabei geht es zum Beispiel um unzureichende Kenntnisse der deutschen Sprache, mangelnde Informationen sowie kulturelle Bedürfnisse und Erwartungen, denen Versorgungseinrichtungen nicht ausreichend Rechnung tragen. Um diesen Herausforderungen zu begegnen, so die Projektpartner, sei es notwendig, die Gesundheitsversorgung, darunter auch die Rehabilitation, diversitätssensibler zu gestalten.

Mögliche Maßnahmen, um dem Problem zu begegnen, seien Schulungen und Seminare, die das Gesundheitspersonal dabei unterstützen, die Vielfalt ihrer Patienteninnen und Patienten – nicht nur im Hinblick auf den Migrationshintergrund, sondern auch auf andere Merkmale wie Alter, Geschlecht und sozioökonomischen Status – besser zu berücksichtigen. Darüber hinaus sollten, so die Empfehlung, Informationen in verschiedenen Sprachen oder, noch besser, sprachunabhängig über verschiedene Medien angeboten werden.

Die Ergebnisse des Projekts zeigen auch, dass Einrichtungen eine diversitätssensible Ausrichtung als wichtig einschätzen. Gleichzeitig werden jedoch fehlende finanzielle Ressourcen und organisatorische Probleme benannt, die die Implementierung einer entsprechenden Versorgung behindern. Um diese Hürden zu überwinden, müssten Einrichtungen daher strukturell und organisatorisch unterstützt werden.

Am Forschungsprojekt war aus Lübeck auch Dr. Jana Langbrandtner beteiligt