Prof. Dr. Wolfgang Eckart aus Heidelberg spricht am 17. November 2011 im Studium Generale über Medizin, Krieg und die Ethik des Experiments 1900-1970 (19.15 Uhr, Audimax)
Sowohl die Medizin insgesamt als auch eine ihrer jüngeren Töchter, die Bakteriologie, sind vom Kriege nicht zu trennen. Nahezu immer haben die Bakteriologen, im 19. und frühen 20. Jahrhundert - selbstredend männliche, waffentüchtige Mediziner - ihre Gegner, die Bakterien eben, als zusammengerottete fremde Heerscharen wahrgenommen, die den Körper mit giftigen Geschossen, noch dazu „auf eigenen Territorium“, sowie mit „regulären“ und irregulären Truppen angriffen. Und spätestens seit den frühen Morgenstunden der jungen Disziplin um ihren Heerführer Robert Koch wurde scharf „nunmehr zurückgeschossen“. Man wollte und suchte den „totalen Krieg“; hier war jedes Mittel recht, zumal die schärfste aller Waffen der naturwissenschaftlich forschenden Medizin, das Experiment. Der Krieg gegen den inneren und äußeren Feind war dabei immer auch ein Bürgerkrieg gegen die Schwachen und Abhängigen, die Fremden, die vermeintlich Wertloseren der eigenen Gattung Mensch. Ihr tödlicher Missbrauch als Versuchsobjekt kann freilich keineswegs nur als unvermeidlicher „Kollateralschaden“ eines aufgezwungenen Krieges gedeutet, er muss vielmehr häufig – wenn nicht immer - auch als gewollter Akt der „opfernden“ Vernichtung aufgefasst werden. Der mörderischen Spur dieser fatalen Doppelstrategie sowie den schwachen Versuchen ethisch regulierender Gegenwehr soll der Vortrag am 17. November in internationaler Perspektive nachgehen.
Prof. Dr. med. Wolfgang U. Eckart, geb. 1952 in Schwelm/Westfalen; 1988-1992 Professor für Geschichte der Medizin und Direktor der Abteilung Geschichte der Medizin an der Medizinischen Hochschule Hannover; seit 1992 Professor für Geschichte der Medizin und Direktor des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg; seit 2009: Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften, Leopoldina. Forschungsschwerpunkte: Medizin im europäischen Kolonialimperialismus; Medizin und Krieg, Medizin im Nationalsozialismus; Medizin in (Kunst und Literatur) der Frühen Neuzeit. Jüngste Publikation: Illustrierte Geschichte der Medizin. Von der Französischen Revolution bis heute, 2. Aufl., Springer: Berlin 2011.
Das Studium Generale der Universität zu Lübeck widmet sich im Wintersemester 2011/12 dem Thema "Dem Fortschritt verfallen? (II.)". Prof. Dr. Cornelius Borck, der Leiter der Vortragsreihe, umreißt die Fragestellung wie folgt: "Man sagt, der Fortschritt sei unaufhaltsam. Er schreitet voran und schafft neben Lösungen auch Probleme - manchmal gerade dort, wo er die größten Erfolge zeigt. Müsste man nicht vielmehr anders fragen: Was braucht es, dass Innovation auch Fortschritt ist? Das Programm dieses Semesters fragt nach den Bedingungen, die gegeben sein müssen, damit neues Wissen oder Können nicht nur neu ist und in dem Sinne einen Fortschritt darstellt, sondern Beitrag ist zum menschlichen Wohl und zur Vertiefung der Kultur."
für die Ukraine