Forschung zur Dynamik viraler Strukturen – Den Studierenden vermitteln, dass eine Methode nicht alle Fragen beantworten kann
Prof. Dr. Charlotte Uetrecht ist seit dem Sommersemester 2024 Professorin für Chemie an der Universität zu Lübeck. Zugleich gehört sie dem Deutschen Elektronen-Synchrotron DESY und dem Leibniz-Institut für Virologie in Hamburg an. An der Universität Lübeck leitet sie gemeinschaftlich mit Prof. Dr. Ulrich Günther das Institut für Chemie und Metabolomics.
Besondere Potenziale für ihre Forschung in Lübeck sieht sie, zusätzlich zu den bereits bestehenden Kooperationen mit Biochemie, Virologie und Chemie, in Interaktionen mit der Medizin, da sie insbesondere bei den Noroviren künftig gern intakte Viren untersuchen würde. In der Lehre in Lübeck vermittelt sie Biologische Chemie für die Bachelorstudierenden (hauptsächlich Molecular Life Science) sowie für die verschiedenen Masterstudiengänge.
Den Studierenden möchte sie speziell den Nutzen integrativer Ansätze vermitteln, „da eine Methode nicht alle Fragen beantworten kann“, wie sie sagt. Außerdem möchte sie dafür sensibilisieren, „dass Strukturen aus Kristallographie oder cryogener Elektronenmikroskopie nur Modelle darstellen und die Dynamiken oft nicht gut abbilden.“ Hier könne zum Beispiel die Massenspektrometrie Abhilfe schaffen.
Faszination für die Einfachheit von Viren und die Präzision der Massenspektrometrie
Prof. Uetrechts Forschungsgruppe untersucht die Dynamik viraler Strukturen und ist am Centre for Structural Systems Biology (CSSB) auf dem Wissenschaftscampus Hamburg-Bahrenfeld angesiedelt, einem Zusammenschluss von neun Partnerinstitutionen, dessen stellvertretende Direktorin sie ist. Dabei konzentriert sie sich auf das Verständnis des Zusammenbaus von Noroviruspartikeln und der Replikationskomplexe von Coronaviren. Uetrecht erforscht die dynamische molekulare Maschinerie, die am viralen Lebenszyklus beteiligt ist. Sie ist daran interessiert, deren kurzlebige oder transiente Zustände zu untersuchen.
Um diese Übergangszustände zu erfassen, nutzt die Gruppe die hochmoderne strukturelle Massenspektrometrie (MS), eine Analysetechnik, die das Masse-zu-Ladungs-Verhältnis von Ionen misst und in der Lage ist, zu erkennen, wie einzelne Proteine zwischen größeren Molekülstrukturen hin- und herwechseln. „Die Einfachheit von Viren und die enormen Auswirkungen, die sie auf einen Organismus haben können, sowie die Präzision der Massenspektrometrie haben mich schon immer fasziniert - diese beiden Aspekte passen hervorragend zusammen“, so Uetrecht.
Uetrecht ist auch an der Entwicklung von MS-Techniken zur Verbesserung der Strukturauflösung und zur Darstellung einzelner Moleküle beteiligt. Die von ihrer Gruppe entwickelte MS-Probenzufuhr wird es Forschenden ermöglichen, Übergangszustände, die aufgrund ihrer Masse oder Form ausgewählt wurden, zu identifizieren und einer Röntgenbeugung zu unterziehen. Uetrecht wird diese Methode selbst nutzen, um zu verstehen, wie sich die virale Kapsidstruktur während des Lebenszyklus von Noroviren verändert.
Doktorandennetzwerk zur dynamischen Natur viraler Strukturen
Charlotte Uetrecht wurde 1982 in Ostercappeln geboren. Sie studierte Biochemie an der Universität Potsdam. Nach ihrer Promotion in Biomolekularer Massenspektrometrie und Proteomik an der Universität Utrecht in den Niederlanden ging Prof. Uetrecht an die Universität Uppsala in Schweden und wechselte dann zur internationalen Röntgenlaser-Forschungseinrichtung European XFEL in Deutschland. Anschließend war sie mehrere Jahre als Nachwuchsgruppenleiterin am Leibniz-Institut für Virologie (LIV) tätig. Im Jahr 2021 wurde Uetrecht Gruppenleiterin am CSSB mit einem gemeinsamen Ruf der Universität Siegen, des DESY und des LIV als W2-Professorin für Biochemie. 2024 wurde sie zur W3-Professorin an der Universität zu Lübeck ernannt.
Im Jahr 2022 erhielt Uetrecht den Mattauch-Herzog-Preis für ihre Entwicklung massenspektrometrischer Methoden und Technologien. Der Preis wird von der Deutschen Gesellschaft für Massenspektrometrie verliehen und gilt als eine der renommiertesten wissenschaftlichen Auszeichnungen in den analytischen Wissenschaften.
Seit 2023 koordiniert die Uetrecht-Gruppe das Doktorandennetzwerk „SPIDoc's - The next generation MS SPIDoc's“, eine Marie-Skłodowska-Curie-Maßnahme, die zehn Doktorandenprojekte umfasst. Sie zielen auf ein tieferes Verständnis der dynamischen Natur viraler Strukturen auf verschiedenen Ebenen ab, von der Zusammensetzung und Form von Proteinkomplexen bis hin zur elektronischen Struktur von Teilstrukturen.
für die Ukraine