Website
Aktuelles
Mittwoch, 10.09.2025

Forschung

Neue Einblicke in die Mechanismen humaner Coronaviren

Strukturbiologische Forschung an der Universität und dem Deutschen Elektronen-Synchrotron in Hamburg identifiziert Ziele künftiger therapeutischer Maßnahmen

Bislang sind sieben verschiedene Coronaviren (CoV) bekannt, die den Menschen infizieren. Diese Viren reichen von HCoV-229, das leichte Erkältungen verursacht, bis zu virulenteren Erregern wie SARS-CoV-2, das seit 2019 mehr als 7,1 Millionen Todesfälle verursacht hat. Alle humanen Coronaviren enthalten ein einzelsträngiges RNA-Genom und weisen viele Gemeinsamkeiten bei der viralen Replikation auf. Die Uetrecht-Gruppe (Universität zu Lübeck und Deutsches Elektronen-Synchrotron DESY) hat neue Erkenntnisse über die Reihenfolge der Polyproteinverarbeitung und deren Einfluss auf die Bildung des Replikations-/Transkriptionskomplexes (RTC) gewonnen. Ihre Ergebnisse wurden jetzt in Nature Communications veröffentlicht.

Um eine Infektion zu verbreiten, müssen sich Viren in ihrem menschlichen Wirt vermehren. Das Coronavirus verwendet seine Spike-Proteine, um sich an eine menschliche Zelle anzuheften und die Fusion der viralen und zellulären Membranen herbeizuführen. Sobald das virale Genom eines Coronavirus in den menschlichen Wirt eingedrungen ist, trifft das zelluläre Ribosom auf die virale RNA und beginnt mit der Übersetzung ihres genetischen Codes. Das Ergebnis sind lange Proteinketten, die als Polyproteine bekannt sind.

Eine Kette aus Perlen

„Man kann sich Polyproteine wie eine Perlenkette vorstellen, bei der jede einzelne Perle ein Nichtstrukturprotein (nsp) ist“, erklärt die Erstautorin der Studie, Kira Schamoni-Kast, "zusammen sind die Perlen flexibel und haben eine bevorzugte Konformation oder Art der Faltung in dem Raum, den sie einnehmen. Dies ist jedoch nur ein Zwischenstadium, und erst wenn die einzelnen Proteine von der Schnur abgeschnitten werden, können sie mit anderen Teilen der Wirtszelle interagieren und den viralen Replikationsprozess fortsetzen."

Schamoni-Kast und ihre Kollegen wollten herausfinden, ob die Reihenfolge, in der jedes nsp von der viralen Hauptprotease Mpro vom String abgespalten wird, den Zusammenbau des RTC beeinflusst. Das Team konzentrierte sich auf die Bestimmung der Verarbeitungsmechanismen einer bestimmten Gruppe von nsps, nämlich der Region nsp7-11, die bekanntermaßen für das virale Wachstum entscheidend ist.

Angesichts der flexiblen Natur von Polyproteinen standen den Forschern nur wenige hochauflösende Strukturdaten zur Verfügung. Das Team wandte sich der nativen Massenspektrometrie (MS) zu, einer hochsensiblen Methode, die ein wenig wie eine molekulare Skala funktioniert und die native Faltung der Proteine beibehält. Dies ermöglichte die gleichzeitige Überwachung der Polyprotein-Spaltprodukte. „Native MS ermöglichte es uns, diesen dynamischen Prozess zu untersuchen“, erklärt die korrespondierende Autorin Charlotte Uetrecht. „Mit der nativen MS konnten wir nicht nur die Protein-Protein-Wechselwirkungen erhalten, sondern auch die Kinetik der Spaltstellen extrahieren und die von den Verarbeitungsprodukten gebildeten Proteinkomplexe nachweisen.“

Die Bedeutung der Prozessierungsreihenfolge

Durch die Bestimmung der Geschwindigkeitskonstanten k, die die Geschwindigkeit einer chemischen Reaktion angeben, konnten die Forscher die Verarbeitung von nsp7-11 aus vier verschiedenen humanpathogenen CoV-Spezies aufdecken und unterschiedliche Mechanismen für jede Spaltstelle auf der Grundlage der lokalen strukturellen Umgebung bestimmen. "Unsere vergleichende Analyse ergab sowohl konservierte als auch einzigartige Merkmale in den nsp7-11-Prozessierungsreaktionen der vier humanen CoV-Spezies. Wir haben auch gezeigt, dass die vollständige Prozessierung von nsp7-11 zwar nicht essentiell ist, aber den Zusammenbau des Komplexes erheblich fördert", erklärt Uetrecht.

Tatsächlich ist die Spaltrate an der Spaltstelle 7/8 bei allen CoV-Spezies durchgängig verzögert, was auf einen möglichen Regulationsmechanismus für den Aufbau von Coronavirus-Polymerase-Komplexen hinweist.  „Ich verwende gerne die Analogie einer Familie, die sich auf den Sommerurlaub vorbereitet“, erklärt Schamoni-Kast, "nsp12, als Polymerase, ist das fleißige Elternteil, das herumrennt und das Auto packt. Nsp7 und nsp8 sind die Kinder, die im letztmöglichen Moment ins Auto gesetzt werden, nachdem alles andere gepackt wurde. Sobald alle im Auto sitzen, kann die Familie zu ihrem Urlaubsziel aufbrechen." Diese Sequenz zeigt, wie die räumlich-zeitliche Koordination von nsps wahrscheinlich dazu beiträgt, die sequentielle Bildung verschiedener funktioneller Baugruppen zu orchestrieren. Sie würde zum Beispiel sicherstellen, dass die RNA-Kappung und das Korrekturlesen zuerst stattfinden, was dem Virus anschließend eine Feinabstimmung der RNA-Synthese und -Modifikation ermöglichen würde.   

„Insgesamt wird ein besseres Verständnis der Polyproteinverarbeitung dazu beitragen, geschwindigkeitsbegrenzende Schritte und kritische Interaktionsstellen zu identifizieren, die zu Zielen künftiger therapeutischer Maßnahmen werden könnten“, so Uetrecht.

  • Originalveröffentlichung:
    Schamoni-Kast K, Krichel B, Damjanović T, Said F-A, Kierspel T, Toker S, Uetrecht C (2025) The kinetics of nsp7-11 polyprotein processing and impact on complexation with nsp16 among human coronaviruses. Nat Commun 16, 8244. doi.org/10.1038/s41467-025-61554-y

Der Vergleich der Polyproteinverarbeitung in vier menschlichen Coronaviren ergab unterschiedliche und gemeinsame Merkmale wie die verzögerte Spaltung zwischen nsp7 und nsp8. AlphaFold3-Modelle (hier SARS-CoV-2 nsp7-11) zeigten, dass diese Spaltstelle eine Helix bilden kann. Die Methyltransferase nsp16 bindet nsp10 je nach Virus bereits vor der Freisetzung aus dem Polyprotein (Abb. aus der genannten Veröffentlichung)