Integrationsarbeit für ein Studium an der Universität - Kurse zum Spracherwerb und zur Studienvorbereitung in der Lübecker City
Wissensdurst und Integrationsbereitschaft sind Kennzeichen, die sich in der Gruppensituation des Propädeutikums im ersten Jahr mit am stärksten eingeprägt haben. In unmittelbarer Nachbarschaft des Lübecker Marktes findet seit einigen Monaten Lehre statt, von der die universitäre Öffentlichkeit bislang noch wenig Kenntnis genommen hat. Die Bezeichnung „Posthof“ für den betreffenden Gebäudekomplex trägt natürlich wenig dazu bei, die Sache ans Tageslicht zu bringen.
Unscheinbar auch die Ausschilderung am und im Gebäude: „Universität zu Lübeck“ heißt es da, ohne weitere Details. Besucherinnen und Besucher empfängt dann allerdings ein durchaus einladendes Ambiente. Wer will, kann auf einem bequemen Sofa Platz nehmen. Martina Schiwek, die zugleich Dozentin ist, und Mattes Holzum kümmern sich um die Organisation des Betriebs, und Tutorinnen und Tutoren führen Kurse durch. Martina Schiwek hat die folgenden Fragen für den Newsletter beantwortet:
Seit wann sind Sie an der Universität Lübeck?
Ich kam 2012 an die Universität zu Lübeck und war als Lehrbeauftragte für Deutsch ein- bis zweimal pro Jahr im Rahmen des ERASMUS-Programms tätig.
In welcher Einrichtung der Universität sind Sie in welcher Position und mit welchem Aufgabengebiet tätig?
Mein hauptamtliches Aufgabengebiet erwuchs aus einer Beteiligung des Studierenden-Service-Centers mit seinem International Office an dem DAAD-Bundesprojekt „Integration durch Bildung“. Die Bundesmittel ermöglichten ein universitäres Engagement für Geflüchtete in Lübeck. In sehr zentral gelegenen Räumen des Posthofs, Schüsselbuden 30-32, werden jenen, für die das in Betracht kommt, Grundlagen für ein Studium vermittelt. Neben einem Fokus auf Deutsch umfasst dieses Propädeutikum Biologie, Chemie, Informatik, Mathematik und neuerdings auch Physik. Auch wenn es dabei also nicht nur um Sprachkenntnisse geht, spielt doch Deutsch für alle Beteiligten eine zentrale Rolle. Die Universität zu Lübeck ist als neues Testzentrum im Rahmen der zentralisierten und standardisierten Sprachprüfung TestDaF (Deutsch als Fremdsprache) installiert. Als Leiterin und Dozentin bin ich dafür zuständig.
Welches waren Ihre Stationen, bevor Sie nach Lübeck und an die Universität kamen?
An der Universität Göttingen studierte ich Germanistik, Politik/Sozialkunde und Anglistik für das höhere Lehramt und verbrachte an der University of California in San Diego ein Auslandsjahr. Nach dem Referendariat in Hannover arbeitete ich als Dozentin für DaF an den Goethe-Instituten in Göttingen, Hamburg und 2015 in Rom sowie an der Fachhochschule Lübeck im Rahmen des ECUST-Projektes in Zusammenarbeit mit der Universität Shanghai. Außerdem ließ ich mich zur Systemischen Therapeutin in Lübeck ausbilden.
In welchem Jahr und wo sind Sie geboren?
In einem schönen Frühsommer im märchenhaften Weserbergland.
Was hat Sie bewogen, an die Universität Lübeck zu kommen? Wieviel langfristige Planung und wieviel Zufall und glückliche Gelegenheit waren im Spiel?
Als das neue, im Januar 2016 startende Projekt aus der Taufe gehoben wurde, das über die ERASMUS-Kurse hinausging und neue Perspektiven eröffnete, wurde ich gefragt; dieser Ruf erreichte mich in Rom.
Was reizt Sie persönlich an Ihrer gegenwärtigen Tätigkeit am meisten?
Mich dafür einzusetzen, dass traumatisierte Menschen mit aber dennoch großem Potential eine neue Lebensperspektive erlangen, ist für mich eine ganz besondere Motivation. Diese Menschen sind allerdings keineswegs nur Opfer, die Dinge nur passiv auf sich zukommen lassen; den Weg gefunden zu haben aus gefährlichen und sehr belastenden Umständen und sich auf ein Studium in Deutschland auszurichten, zeichnet sie aus. Was die Teilnehmenden des Jahres 2016 betrifft: „Die haben uns gefunden“, haben im Containerdorf in Lübeck eine Eigeninitiative aufgebracht, auf welche die Universität mit einem ersten Kursangebot reagierte und dann das Weitere in Gang setzte. All das, was nun stattfindet – intensiv Sprache zu vermitteln, Bildung im Sinne naturwissenschaftlicher und technischer Grundlagen, in einer geschützten Gruppensituation sich mit neuen Lebensinhalten zu befassen, die hiesige Kultur nahezubringen – ist meines Erachtens gut angelegt.
Welche Erlebnisse aus Ihren ersten Tagen und Wochen an der Universität sind Ihnen besonders in Erinnerung?
Ich fand es sehr bemerkenswert, die hohe Motivation der Teilnehmenden zu erleben, deren Wissensdurst und Integrationsbereitschaft – wie sie mit dem Trauma im Nacken trotzdem in eine neue Zukunft schauen. Die Schnelligkeit des Spracherwerbs ist erstaunlich. Es erweist sich, dass man sehr wenig voneinander wusste, wenn man nun feststellt, mit den Geflüchteten moderne Menschen vor sich zu haben, die sich sehr schnell orientieren und denen man in dieser Hinsicht nichts oder wenig voraushat.
Welches ist Ihr liebster Platz auf dem Campus?
Die neuen und sehr gut ausgestatteten Räume der Universität im Posthof, dort ganz besonders mein Büro.
Was wünschen Sie sich in Ihrer Tätigkeit für die Zukunft?
Meine Wünsche beziehen sich zum einen auf die Etablierung und Ausweitung des Deutsch-Zentrums generell. Speziell wäre es mir wichtig, dass das, was wir hier machen, ein Erfolgsmodell wird – zur Integration geflüchteter Menschen beizutragen, ein Angebot zu haben auf Dauer, an das Menschen anderer Nationalitäten und Kulturkreise „andocken“ können. Wie ich finde, ist es durchaus eine Art Friedensarbeit. Nicht zuletzt sollte die Integration meines Erachtens auch andersherum wirken, in die deutsche Gesellschaft hinein, um die Aufgeschlossenheit für das Potential der Neubürger zu vergrößern. Mir fällt der Begriff "Kulturträger" ein – Menschen, die aus einer der ältesten und wichtigsten Kulturen der Erde stammen. Von mir selbst erwarte ich, in meiner Tätigkeit authentisch zu sein und dies auch zu bleiben, der jeweiligen Situation und den Menschen präsent und aufgeschlossen zu begegnen.
Was ist Ihnen außerhalb Ihrer Tätigkeit wichtig?
Das eine Jahr in dieser Tätigkeit war schon eine Herausforderung, viel mehr als nur Unterricht nach Plan und routinemäßige Unterrichtsvorbereitung. Schließlich musste etwas Neues entstehen, Führungsqualitäten waren gefragt etc. Es muss einen Ausgleich geben, das ist für mich sehr wichtig – Freunde, Kulturprogramm, Kontemplation, Natur, gesunde Ernährung, lebenslanges Lernen, alle diese Bereiche dürfen nicht vernachlässigt werden und machen das Leben erst „rund“ in einem ganzheitlichen Sinn.
für die Ukraine