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Montag, 20.07.2020

Forschung

Künstliche Intelligenz für die Intensiv- und Notfallmedizin

Typische Röntgenaufnahmen des Thorax aus dem Alltag der Intensivmedizin der Klinik für Radiologie des UKSH Lübeck mit manuellen Annotationen von Katheter, Tubus, Fremdmaterialen etc. (Bilder / Grafiken: Dr. med. Malte Sieren, Klinik für Radiologie UKSH Lübeck)

Verbundprojekt entwickelt neue KI-Software für Radiologen - Unterstützung bei der Analyse von Röntgenaufnahmen, besser verständliche und interpretierbare Auswertungen, automatisierte Visualisierung von Kathetern, relevanter Anatomie und Fremdmaterialen

Ziel des Projekts „Künstliche Intelligenz (KI) für radiologische Bildgebung in der Notfall- und Intensivmedizin“ (KI-RAD) ist es, einen intelligenten Röntgenassistenten zu entwickeln, der dabei hilft, wichtige Informationen aus Röntgen- und CT-Bildern zu filtern, die entscheidend für die weitere Versorgung von Patientinnen und Patienten sind. Hierfür wurden drei kritische Anwendungsbereiche ausgewählt: Schlaganfall, Knochenverletzungen und Röntgenaufnahmen des Brustkorbes (Röntgenthorax). „Gerade in der Notfall- und Intensivmedizin kann ein intelligenter Röntgenassistent lebensrettend sein, da er schnell Dinge erkennt und dafür sorgt, dass man nichts übersieht“, erklärt der Projektkoordinator Dr. Claus-Christian Glüer. Glüer ist Professor für Medizinische Physik an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU). Die Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Mattias Heinrich am Institut für Medizinische Informatik der Universität zu Lübeck, die international für ihre Expertise im Bereich der Künstlichen Intelligenz anerkannt ist, wird im Rahmen des Projektes neue Techniken der Erklärbarkeit und Visualisierung von tiefen maschinellen Lernverfahren entwickeln.

Intelligenter Röntgenassistent soll dringliche Probleme erkennen

Bei Verdacht auf einen Schlaganfall zum Beispiel zählt jede Minute. Wichtig ist vor allem, schnell zu differenzieren, ob ein verschlossenes Blutgefäß die Symptome verursacht oder eine Hirnblutung. Im ersten Fall muss die Durchblutung des betroffenen Gehirnbereichs durch Gabe spezieller Medikamente schnellstmöglich wiederhergestellt werden. Im zweiten Fall muss die Blutung gestoppt und Schädigungen durch das austretende Blut müssen vermieden werden.

Bei Verletzungen von Knochen soll das KI-gestützte Analysesystem zum einen zwischen frischen Frakturen infolge eines Unfalls und alten Brüchen, beispielsweise als Folge von Osteoporose (Knochenschwund) unterscheiden. Zum anderen gilt es, instabile Brüche zu erkennen, die eine besondere Vorsicht im Umgang mit Betroffenen erfordern. Bei Wirbelkörperfrakturen besteht die Gefahr, dass das Rückenmark verletzt wird und Lähmungen auftreten.

Den Anwendungsbereich zu Röntgen-Aufnahmen des Brustkorbs betreut Prof. Dr. Heinrich zusammen mit Dr. Jörg Barkhausen, Professor der Universität zu Lübeck und Direktor der Klinik für Radiologie und Nuklearmedizin am UKSH, Campus Lübeck. Auch hier geht es darum, Probleme zu erkennen, die einer schnellen Behandlung bedürfen, zum Beispiel bei Atemnot auf Grund eines Pneumothorax oder auch die richtige Platzierung von Kathetern zu überprüfen.

Erklärbare und nachvollziehbare Entscheidungen anstelle einer KI-Black Box

Für viele Anwender, insbesondere im medizinischen Bereich, ist der Einsatz eines KI-Verfahrens, welches einerseits sehr komplex andererseits aber bisher noch nicht immer 100% Genauigkeit erreicht mit Sorgen verbunden. „Jedoch, gibt es bereits jetzt Möglichkeiten die Entscheidungsfindung eines neuronalen Netzwerkes transparenter zu machen. Eine Weiterentwicklung zur interpretierbaren Visualisierung, welche auch Unsicherheiten sichtbar macht, wird die Akzeptanz der Nutzung einer KI-Unterstützung für Ärztinnen und Ärzte deutlich erhöhen“, ist sich Prof. Heinrich sicher. Grundlage für die Entwicklung dieses intelligenten Röntgenassistenten sind Röntgenbilder aus dem klinischen Alltag, die von spezialisierten Radiologinnen und Radiologen des UKSHs interpretiert und annotiert wurden. Das KI-System lernt Objekte und patientenspezifische Ausprägungen aus diesen Beispielbildern wiederzuerkennen. Eine große Menge an annotierten Bilddaten verbessert die Qualität der Vorhersagen und erlaubt auf Grund der enthaltenen Variabilität die Abschätzung von Unsicherheiten. In Zusammenarbeit mit Philips Research werden sowohl die Annotationswerkzeuge für die genaue Erfassung von der Lage von Kathetern und Fremdmaterialen in Röntgenaufnahmen verbessert als auch KI-Methoden auf dieses spezifische Anwendungsproblem angepasst.

Potenzielle Anwendungsgebiete für transparente KI-gestütztes Analyseverfahren gibt es in der Medizin viele. Zum Beispiel könnten kleinere Kliniken, denen die entsprechende radiologische Expertise fehlt, es nutzen. Auch ein Einsatz zu Trainingszwecken sei vorstellbar. Innerhalb des Forschungsverbund arbeiten Fachleuten aus der Radiologie und KI zusammen mit Firmen daran herausfinden für welche klinischen Applikationen die Verfahren am besten geeignet sind und den größten Mehrwert im klinischen Alltag ermöglichen könnten. Zum Abschluss des Projektes sollen verschiedene Prä-prototypen entwickelt sein, die anschließend im klinischen Alltag durch weitere Tests ihren Nutzen unter Beweis stellen können.

Über KI-RAD

Das auf drei Jahre angelegte Projekt „Künstliche Intelligenz (KI) für radiologische Bildgebung in der Notfall- und Intensivmedizin“ (KI-RAD) ist ein Anwendungsprojekt innerhalb von „KI-Space für intelligente Gesundheitssysteme“ (KI-SIGS). Es wird mit 1,5 Millionen Euro vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie gefördert. Ziel ist die Entwicklung und Bereitstellung von KI-gestützten Analyseverfahren zur Optimierung von Workflow und Befundungsqualität für Bildgebung in der Notfall- und Intensivmedizin, speziell in den Bereichen Schlaganfall, Skelettrauma und Intensiv/Röntgenthorax. Das Projekt startete im April 2020 und endet voraussichtlich im März 2023. Neben die Universität zu Lübeck und der CAU als Koordinatorin sind auch das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), das Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH) sowie die Unternehmen Philips, Hamburg, und mbits, Heidelberg, beteiligt.

(Text zusammen mit Kerstin Neews und CAU)

Arbeitsgruppenleiter Prof. Dr. Mattias Heinrich aus dem Institut für Medizinische Informatik der Universität zu Lübeck