Forschungsteam um Prof. Siawoosh Mohammadi entwickelt MRT-Methoden für schonendere Epilepsiechirurgie
Wenn Medikamente versagen, bleibt oft nur die Operation: Für viele Patient*innen mit medikamentenresistenter Epilepsie ist ein neurochirurgischer Eingriff die letzte Hoffnung. Doch wie findet man genau das Hirngewebe, das für die Anfälle verantwortlich ist – und wie lässt sich ausschließen, dass bei der Operation gesunde oder funktionell wichtige Bereiche verletzt werden?
Prof. Dr. Siawoosh Mohammadi von der Universität zu Lübeck und dem Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH) geht diesen Fragen mit seinem Team seit Jahren auf den Grund. Der Physiker entwickelt innovative Verfahren der Magnetresonanztomographie (MRT), die mikroskopische Veränderungen im Gehirn sichtbar machen sollen, und das ganz ohne Skalpell. Im Fokus steht dabei das Ziel, neurochirurgische Eingriffe sicherer, gezielter und langfristig erfolgreicher zu gestalten.
Die klinische Standard-MRT ist für viele Fragestellungen in der Epilepsiediagnostik unverzichtbar. Doch gerade bei subtilen, fokalen Veränderungen im Gehirn, wie Vernarbungen im Bereiche des Hippocampus oder fehlerhaften Entwicklungen der Großhirnrinde, ist sie häufig nicht empfindlich genug. Die Folge: In der klinischen Bildgebung bleibt der epileptische Herd unsichtbar. Eine endgültige Diagnose gelingt dann meist erst nach der Operation durch die feingewebliche Untersuchung des entnommenen Materials. Zu spät für die OP-Planung, zu spät für eine individuelle Risikominimierung.
Genau hier setzt die Forschung von Prof. Mohammadi an: Durch die Kombination moderner MRT-Technologien mit Methoden der künstlichen Intelligenz soll es möglich werden, aus MRT-Daten histologische Parameter wie Zellgröße, Zelldichte, Myelinisierung oder Eisengehalt zu berechnen. Die Idee: Das MRT-Bild soll sich nicht mehr nur an Kontrasten und anatomischen Merkmalen orientieren, sondern einen digitalen Blick auf die Gewebemikrostruktur werfen. Dafür wird unter anderem mit hochaufgelösten 3D-Histologien und biophysikalischen Modellen gearbeitet, die mit MRT-Daten in Beziehung gesetzt werden. Ziel ist es, künftig auch jene Hirnmikrostruktur nicht-invasiv zu identifizieren, die bislang nur durch invasive postoperative Histologie-Analysen erkannt werden konnten.
Ein weiterer Schwerpunkt der Arbeitsgruppe ist die Entwicklung eines neuen biologischen Referenzstandards für die MRT-Histologie. Dafür kooperiert das Team mit Prof. Tim Salditt von der Universität Göttingen, der Zugang zu einem hochmodernen Synchrotronstrahlungslicht am Deutschen Elektronen-Synchrotron (DESY) in Hamburg ermöglicht. Mithilfe sogenannter Röntgen-Phasenkontrastbildgebung – einer besonders hochauflösenden, zerstörungsfreien Technik – werden hier Gewebeproben in dreidimensionaler Detailtiefe vermessen, die bisher der histologischen Mikroskopie vorbehalten war.
Die so gewonnenen Daten liefern ein einzigartiges Bild der Zell- und Nervenfaserstrukturen des Gehirns mit bis zu 1000-fach höherer Auflösung pro MRT-Voxel. Diese Informationen werden genutzt, um maschinelle Lernmodelle zu trainieren, die künftig klinische MRT-Aufnahmen mit mikrostrukturellen Gewebeeigenschaften verknüpfen sollen. Hierbei profitiert das Team von der starken KI-Kompetenz am Campus, insbesondere von der Zusammenarbeit mit Prof. Mattias Heinrich vom Institut für Medizinische Informatik. Ziel ist es, epileptogene Hirnregionen schon im Vorfeld der OP mit hoher Sicherheit zu lokalisieren, ganz ohne invasive Maßnahmen und mit größerer Präzision.
Die Forschung von Prof. Mohammadi schlägt eine Brücke zwischen Physik, Medizin und KI und zeigt eindrucksvoll, wie interdisziplinäre Zusammenarbeit das Potenzial hat, die medizinische Diagnostik grundlegend zu verändern. Wenn es gelingt, mikroskopische Gewebeeigenschaften aus nicht-invasiven MRT-Daten verlässlich abzuleiten, könnten Epilepsie-Operationen nicht nur gezielter geplant, sondern auch ihre Erfolgsaussichten deutlich verbessert werden. Für viele Patient*innen würde das bedeuten: weniger Risiken, weniger Eingriffe und im besten Fall ein Leben ohne Anfälle.
Link zur Arbeitsgruppe: https://www.micromri.uni-luebeck.de/institut
Kontakt
Prof. Dr. Siawoosh Natho-Mohammadi
Leiter der Sektion für Advanced MRI
Institut für Neuroradiologie
Tel: + 49 451 3101 8113
Email: siawoosh.nathomohammadi(at)uni-luebeck(dot)de
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