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Mittwoch, 01.02.2023

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"Die Universität hat sich enorm gewandelt"

Prof. Dr. Rüdiger Reischuk blickt auf eine langjährige Zugehörigkeit zurück - Aber die Arbeit ist noch nicht zu Ende

1994 übernahm er als Gründungsdirektor die Einrichtung und den Aufbau des Instituts für Theoretische Informatik, im vergangenen Sommer wurde er im Rahmen einer kleinen Feierstunde der Universität zusammen mit anderen Jubilarinnen und Jubilaren für seine langjährige Zugehörigkeit geehrt. Im Rückblick lässt Prof. Rüdiger Reischuk für den Newsletter der Universität diese Zeitspanne entscheidender Veränderungen nochmals Revue passieren.

Den Ruf nach Lübeck bekam er als C3-Professor für Theoretische Informatik an der damaligen Technischen Hochschule, der heutigen TU Darmstadt. Gleichzeitig hatte er auch einen Ruf an die Universität Tübingen erhalten. In beiden Fällen ging es um den Aufbau eines neuen Instituts, aber die Situation in Lübeck, an einer damals noch rein Medizinischen Universität, erschien ihm als die herausforderndere, und zusammen mit der Familie fiel die Entscheidung zugunsten der Hansestadt.

Der Studienbetrieb in der Informatik in Lübeck war zum Wintersemester 1993/94 aufgenommen worden, und die räumlichen Verhältnisse für die neu einzurichtenden Institute waren von offensichtlicher Vorläufigkeit. Seine Kontakte sowohl mit der Leitung der Universität wie auch mit dem Ministerium in Kiel seien, so sagt er, nach norddeutscher Art verlaufen und schienen ihm vertrauenswürdig. Sie hatten ihn in dem Eindruck verstärkt, dass hier mit viel Überzeugung und Tatkraft der Aufbau der Informatik unterstützt werden würde.

Nukleus für den Studienbetrieb war die Alte Seefahrtschule in den Wallanlagen bei der Mühlenbrücke. In die historischen Räume, auf deren Holzbänken schon Felix Graf Luckner sein Steuermannspatent erworben hatte, waren moderne Rechnerplätze installiert worden, und in den ersten Semestern fanden alle Lehrveranstaltungen hier statt. Eine Herausforderung allerdings: das Zusammentreffen von technisch-mathematisch-naturwissenschaftlicher mit der medizinischen Wissenschaftskultur, zum Beispiel in den Promotions- und Habilitationsausschüssen der Universität, erforderte Verständnis, Kooperationsbereitschaft und ein Auf-einander-zu-Gehen auf beiden Seiten.

Von der Mathematik zur Informatik

Prof. Reischuks Leidenschaft für Informatik und Mathematik hatte sich früh gezeigt. Schon als Schüler war er Sieger im Bundeswettbewerb Mathematik. Nach dem Abitur 1974 ging er zum Mathematikstudium an die erst fünf Jahre zuvor gegründete Universität Bielefeld. Das Thema seiner Diplomarbeit verrät bereits seine Orientierung in Richtung Informatik: "Über Eigenschaften von Berechnungsgraphen und alternierende Turingmaschinen". 1980 folgte die Dissertation über "Beziehungen zwischen Rechenzeit, Speicherplatz und Speicherstruktur", und mit der Habilitationsschrift 1983 wird der Weg zur Theorie der Informatik erkennbar: "Graphentheoretische Ansätze zur Lösung verschiedener Probleme der Komplexitätstheorie". Es war die Zeit, als sich Fragestellungen der "angewandten" auch in Deutschland von der "reinen" Mathematik mehr und mehr zu emanzipieren begannen.

Nach einem Jahr als Visiting Scientist bei IBM in San José, Kalifornien, führte ihn eine Professurvertretung an die Universität des Saarlandes. Das saarländische Schloss Dagstuhl sollte für ihn zu einem der über viele Jahre immer wiederkehrenden Tagungsorte wissenschaftlicher Konferenzen werden. Ausländische Forschungsaufenthalte hatte er außer in den USA auch in Japan, Neu-Seeland und Singapur. Während seiner Lübecker Zeit holte er etliche nationale und internationale Tagungen an die Trave, so zum Beispiel 2009 die Jahrestagung der Gesellschaft für Informatik.

Insgesamt, so sagt Prof. Reischuk in der Rückschau, habe die Universität in Lübeck sich sehr erfolgreich weiterentwickelt, von einer Sparten- und Spezialuniversität in Randlage zu einer, die sich bundesweit im Kreis der Universitäten sehen lassen könne. Das war kein Selbstläufer, schwierige Phasen mit Ressourcenknappheit, Verselbständigung des Klinikums und der zweimaligen Existenzfrage inbegriffen. Wie 2010 die ganze Stadt für den Erhalt der Uni aufstand, fand und findet er immer noch bewegend.

In die Universitätsverwaltung sei ein frischer Wind eingezogen mit dem eingelösten Selbstverständnis, in Service-Funktion für Wissenschaft und Lehre zu stehen. Die Etablierung zusätzlicher Forschungsschwerpunkte und die Errichtung neuer Forschungsgebäude zeigten auch nach außen, dass die Universität sich massiv verändert habe. Ein sichtbarer Erfolg für die Lübecker Informatik auch: sie wurde schon kurz nach Gründung Vollmitglied im Fakultätentag.

Noch kein Abschied nach der Pensionierung

Dass er, sagt Prof. Reischuk, als langjähriger Studiengangsleiter und durch die Mitwirkung bei Berufungen und dem Aufbau des neuen Studiengangs IT-Sicherheit zur Entwicklung der Informatik habe beitragen können, sei für ihn immer ein sehr befriedigender Teil seiner Aufgaben als Hochschullehrer gewesen. Darüber hinaus hat er sich über viele Jahre in nationalen und internationalen Gremien für die Informatik engagiert, insbesondere beim Fakultätentag Informatik, dem Dachverein der Fakultätentage der Ingenieurwissenschaften und der Informatik an Universitäten 4ING und der Jury für den Dissertationspreis der Gesellschaft für Informatik.

Außerordentlich gefreut hat er sich über ein wissenschaftliches Kolloquium mit bundesweiter Beteiligung, das das Institut ihm zu seinem 60. Geburtstag ausgerichtet hat. Und auch nach seiner Pensionierung 2021 möchte er noch keinen Abschied nehmen, solange Körper und Geist mitspielen. So ist er aktuell zum Beispiel an dem gerade gestarteten Lübecker Forschungscluster AnoMed zu Fragen der Anonymisierung von Patientendaten für umfangreiche Anwendungen maschinellen Lernens und künstlicher Intelligenz beteiligt.

Sportlich erarbeitet er sich wieder Kondition. 2012 und 2014 war er bei den Deutschen Hochschulmeisterschaften im Orientierungslauf Sieger bei den Senioren - einer Disziplin, die körperliche Fitness mit geistiger Beweglichkeit verbindet, indem nämlich die Streckenführung durch richtige Zuordnung von Orientierungspunkten während des Laufens erst gefunden werden muss. Vielleicht ein Sinnbild auch für manches andere.

Der Newsletter dankt für ein interessantes Gespräch und wünscht weiterhin alles Gute.

(Interview: Rüdiger Labahn)

Prof. Dr. math. Rüdiger Reischuk (Foto: ITCS)

Ehrung von Jubilarinnen und Jubilaren zusammen mit neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Universität im Juni 2022 (Foto: Juliana Wiechert / Universität zu Lübeck)

Das Institut für Theoretische Informatik in den Gründerjahren vor der alten Seefahrtschule 1998 (Fotos: ITCS)

Der Seminarraum in der Seefahrtschule 1995