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Mittwoch, 12.05.2021

Forschung

Die neuen Stipendiatinnen und Stipendiaten des ZKFL

Die Stipendiatinnen und Stipendiaten der vierten Förderrunde (Screenshot: ZKFL)

Das Zentrum für Kulturwissenschaftliche Forschung Lübeck ist zu einem Erfolgsmodell für den interdisziplinären Austausch geworden

Seit 2011 gibt es in Lübeck das Zentrum für Kulturwissenschaftliche Forschung, im Januar 2021 startete die inzwischen vierte Förderrunde. „Am Anfang waren wir nicht sicher, ob es gelingen wird, geisteswissenschaftliche Forschung nach Lübeck und an die Uni zu holen“, berichtet Professor Cornelius Borck, „inzwischen hat der kulturwissenschaftliche Ansatz mit seiner klaren Ausrichtung auf konkrete Lübecker Themen seine Bewährungsprobe bestanden. Das ZKFL ist zu einem Erfolgsmodell für den interdisziplinären Austausch geworden.“

Das ZKFL ist ein Zentrum der Universität, in dem sich die geistes- und sozialwissenschaftlich tätigen Institute mit forschenden Kultureinrichtungen der Stadt wie den Lübecker Museen, dem Archiv, der Stadtbibliothek, der Archäologie und Denkmalpflege und dem Europäischen Hansemuseum zusammengeschlossen haben. Auch die Musikhochschule ist ein wichtiger Ort kulturwissenschaftlicher Forschung in Lübeck.

Seit 2018, mit der dritten Förderrunde, arbeitet das ZKFL mit der Musikhochschule Lübeck (MHL) zusammen, so dass jetzt alle Lübecker Hochschulaktivitäten im Bereich der Kulturwissenschaften im ZKFL vereint sind. Professor Wolfgang Sandberger, Leiter des Brahms-Instituts an der Musikhochschule Lübeck: „Es ist großartig, dass auch die kulturwissenschaftlichen Potenziale der Musikhochschule durch diese strategische Partnerschaft sichtbar werden.“

Digitalisierung und Museum

Die Arbeit des ZKFL wird von den Mitgliedseinrichtungen getragen und von der Universität unterstützt. Einen Großteil der Kosten tragen Lübecker Stiftungen. Dabei kann das ZKFL davon profitieren, dass seine Forschungsfelder gut zu den Förderzielen der Possehl-Stiftung passen, die dankenswerter Weise seit der Gründung den Hauptteil der Finanzierung übernommen hat.

„Geisteswissenschaften fehlten bisher in Lübeck“, sagt Max Schön, Vorsitzender der Possehl Stiftung. „Hier hat das Zentrum für Kulturwissenschaftliche Forschung viel in Bewegung gebracht. Wir freuen uns, diese Arbeit weiter voranbringen zu können“

Dank dieser Unterstützung konnten jetzt wieder insgesamt 13 neue Forschungsprojekte in die Förderung aufgenommen werden. Ein besonderer Fokus liegt diesmal auf dem Thema Digitalisierung und Museum: „Gerade in der aktuellen Situation hat das Thema eine zusätzliche Relevanz erhalten. Nach Corona wird das Verhältnis zwischen digitaler und analoger Museumswelt neu zu denken sein. Hier kann das ZKFL mit seiner Verbindung von Theorie und Praxis wertvolle Impulse auch über Lübeck hinaus von Bedeutung leisten“, betont Professor Hans Wißkirchen, Leiter der Lübecker Museen und zusammen mit Cornelius Borck Sprecher des ZKFL.

Eine besondere Stärke des ZKFL ist die Verknüpfung von Forschung im Museum mit universitären Projekten. Am Institut für Interaktive und Multimediale Systeme (Mitglied im ZKFL) leitet Professor Michael Herczeg ein DFG-Projekt Ambient Learning Spaces. Hier dockt der Literaturwissenschaftler Tristan Bielfeld mit seiner jetzt in die Förderung aufgenommenen Doktorarbeit zu innovativen Museumsassistenzsystemen an. Die Historikerin Henriette Mühlmann wird die Bildungspotenziale digitaler Vermittlungsangebote im Europäischen Hansemuseum (Mitglied im ZKFL) analysieren. Digitalisierung steht auch im Zentrum des Projekts von Miriam Meyer, die als Kunsthistorikerin die Geschichte der Wunderkammer von Jacob von Melle von ihrer Entstehung im 17. Jahrhundert bis heute rekonstruiert.

Gleich drei Promotionsprojekte der neuen Förderrunde widmen sich der psychologischen Forschung. Die Wissenschaftshistorikerin Carola Oßmer untersucht in ihrem psychologie- und wissenshistorischen Projekt, wie die normale kindliche Entwicklung zum wissenschaftlichen Gegenstand wurde und welche Rolle dabei die Medien Fotografie und Film spielten. Die Psychologin Lotta Fiedel hat psychotherapeutische Kriseninterventionen mit ethnographischen Beobachtungen begleitet und analysiert in ihrer Promotion jetzt die dabei eingesetzten Subjektivierungsstrategien. Risiken und Resilienzfaktoren von Menschen mit bikultureller Herkunft sind Thema der Promotion von Nathalie Grabinsky. „Ich freue mich sehr“, sagt Professor Nico Bunzek vom Institut für Psychologie und Mitglied des ZKFL, „dass in dieser Förderperiode psychologische Themen mehr an Bedeutung gewinnen. Dabei sind die Interdisziplinarität, thematische Spannbreite und der potentielle Anwendungsbezug besonders reizvoll.“

Das Lübecker Modell

Einen wichtigen Platz nehmen auch diesmal wieder interdisziplinäre kulturhistorische Themen ein: Ein echtes Hansethema bearbeitet die Musikwissenschaftlerin Mareike Fahr in ihrer Promotion, nämlich die Welt der weltlichen Musik zu festlichen und politischen Anlässen im frühneuzeitlichen Hanseraum. Kim Sulinski entschlüsselt die Bildsprache der emblematischen Darstellungen, mit denen die Patrizier und Kaufleute hier ihre Häuser schmückten. Der umfangreiche in Lübeck aufbewahrte Nachlass von Johann Friedrich Overbeck dient der Kunsthistorikerin Ines Reiss dazu, den großen Bestand von Zeichnungen dieses bedeutenden Malers aufzuarbeiten. Der Mediziner Felix Klingenbeck erforscht das Lübecker Lazarettwesen im Zweiten Weltkrieg. Die ideologische Aufladung des Maritimen und Nordischen in der Kunst der NS-Zeit sind Gegenstand der kunst- und zeithistorischen Promotion von Greta Paulsen.

Eine besondere Förderungsmöglichkeit im ZKFL, die überregional auf Beachtung und Nachahmung gestoßen ist, stellt das sogenannte „Lübecker Modell“ dar, das die wissenschaftliche Forschung in der Promotion mit einem Volontariat an einer der Mitgliedseinrichtungen des ZKFL verbindet. Der Züricher Musikwissenschaftler Christoph Arta erforscht auf diese Weise am Brahms-Institut die vielen Rollen und Funktionen von Joseph Joachims in der Musikkultur des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Mit dem Projekt von Christoph Arta wird nun zum zweiten Mal ein Forschungsvorhaben im Rahmen Lübecker Modells am Brahms-Institut realisiert. „Das Brahms-Institut mit seiner bedeutenden Sammlung auch zu Joseph Joachim“, betont Professor Sandberger, „bietet die ideale Forschungsumgebung für dieses Dissertationsprojekt.“ Ebenfalls im Rahmen eines Lübecker Modells erforscht die in Indien und England ausgebildete Ethnologin Dipika Nadkarni die heute im Völkerkundemuseum aufbewahrte Sammlung des Lübecker Senators Eduard Raabe.

„Das Lübecker Modell hat sich als eines der wesentlichen Erfolgskriterien des ZKFL herausgestellt“, berichtet Professor Hans Wißkirchen: „In den letzten zehn Jahren sind dadurch vor allem an den Museen, aber auch in der Bibliothek der Hansestadt Lübeck und aktuell bei den Archäologen wichtige Forschungsprojekte durchgeführt worden. Das Wissen über die in Lübeck bewahrten Dinge ist damit substantiell gewachsen und hat schon in ersten Ausstellungen seinen Niederschlag gefunden. Darüber hinaus hat sich das Lübecker Modell als sehr gute Möglichkeit herausgestellt, Wissenschaft und Beruf zu verbinden. In dieser Form besitzt es nach wie vor ein Alleinstellungsmerkmal in der deutschen Wissenschafts- und Kulturlandschaft.“ 

Mit den in die Förderung aufgenommenen Promotionsprojekten bietet das ZKFL eine einzigartige Verzahnung von Universität und Kulturinstitutionen. Junge Wissenschaftler:innen promovieren nicht im akademischen Elfenbeinturm, sondern sie erproben neue Forschungsansätze im städtischen Kontext und entwickeln im Austausch mit der kulturellen Überlieferung innovative Konzepte für die Vermittlungsarbeit im Museum bzw. im städtischen Raum. „Wir freuen uns sehr darüber Forschungen in dieser Konstellation ermöglichen zu können, die auch völlig neue Netzwerke entstehen lassen“, betont Max Schön.

Die Arbeit am ZKFL wird geprägt von kulturwissenschaftlichen Forschungsperspektiven bei denen die Stipendiat:innen auf ganz unterschiedliche disziplinäre Ansätze zurückgreifen, sich untereinander austauschen und so die eigene Forschung voranbringen. „Diese Vielfalt ist die Stärke der am ZKFL lebendigen Arbeits- und Promotionskultur“, betont Professor Borck: „Bei uns müssen die Stipendiat:innen ihre Vorhaben den Kollegiat:innen aus ganz anderen Fächern erklären. Das ist ungewohnt und nicht leicht, aber dabei entdecken sie, was sie wirklich herausfinden wollen und wie viel sie dafür schon wissen. Obendrein realisieren die Stipendiat:innen, wie ähnlich die Schwierigkeiten auch bei ganz anderen Themen sind. Solche Erfahrungen sind ungemein klärend, und die Stipendiat:innen bringen dadurch ihre Arbeiten gemeinsam voran“.

Das Herzstück der gemeinsamen Arbeit am ZKFL sind die regelmäßigen Forschungskolloquien, in denen die jungen Wissenschaftler:innen ihre Projekte gemeinsam und mit den Betreuer:innen vor Ort diskutieren. Workshops, Diskussionen und Kolloquien, die Planung von Tagungen und Vorträgen ergänzen die gemeinsame Arbeit und bilden zusammen die am ZKFL gelebte Promotionskultur. Die dritte Förderrunde endete im vergangenen Jahr im zweiten Lockdown. In diesem Jahr musste die neue Staffel unter Coronabedingungen starten. Die Diskussionen und die Zusammenarbeit bleiben deshalb vorerst in den digitalen Raum verlegt. Aber auch das hat sich bereits bewährt. Gleichwohl wünschen sich die Stipendiat:innen möglichst bald gemeinsam in der Königstraße 42 arbeiten zu können. Online-Formate mögen vieles möglich machen, aber sie können den Austausch vor Ort nicht ersetzen – wenn Denken und Arbeit gemeinsam erlebt wird, wenn in Nebengesprächen unverhofft gemeinsame Interessen oder Fragen auftauchen und man sich auf diese Weise auch über das Fachliche hinaus kennenlernt und die gemeinsame Arbeit in der schönen Lübecker Altstadt ausklingen lassen kann.

Dr. Birgit Stammberger

Die vierte Förderrunde des ZKFL
 
Lübecker Modelle

  • Christoph Arta (Brahms-Institut, Musikhochschule Lübeck): Zwischen Interpretation und Komposition, Direktion und Organisation: Joseph Joachim und die Musikkultur in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
  • Dipika Nadkarni (Völkerkundesammlung, Goethe Universität Frankfurt/Main): Eduard Rabe - A Case Study in "Bürgerliches Sammeln" of Ethnographica in the Hanseatic City of Lübeck

Promotionsförderung (drei Jahre)

  • Miriam Mayer (St. Annen), nach Abschluss Volontariat: Lübecks Wunderkammer - Die Sammlung Jacob von Melle: Urzelle der Sammlungen der Lübecker Museen
  • Mareike Fahr (Universität Rostock): Die Verbindungen der Hanse als Netzwerk von Musik und Musikern (1557-1669). Musik zwischen Brügge und Riga
  • Kim Sulinski (Archäologie und Denkmalpflege): Emblematische Malereien in Lübecker Privathäusern des16. bis 18. Jahrhunderts. Sinnbilder im Profanraum zwischen bürgerlicher Selbstinszenierung, Naturphilosophie und Moralästhetik
  • Greta Paulsen (LM Universität München): Maritime Kunst aus der Zeit des Nationalsozialismus
  • Ines Reiss (Universität Göttingen): Die Linie als Gebet. Johann Friedrich Overbeck als Zeichner. Ein kritisches Werkverzeichnis
  • Tristan Bielfeld (Universität zu Lübeck): Mehr Partizipation durch Digitalisierung. Wie Assistenzsysteme Museen verändern sollten
  • Henriette Mühlmann (Universität Hildesheim): Bildungspotenziale von digitalen Vermittlungsangeboten zu materiellem Kulturerbe
  • Nathalie Grabinsky (Universität zu Lübeck): Bicultural self-efficacy, identity invalidation and mental health of second generation migrants: a mixed-method approach under consideration of perspectives from the psychological humanities

Abschlussförderung (ein Jahr)

  • Carola Oßmer (Leuphana Universität Lüneburg): Normale Entwicklung. Die Kinder und Bildtechnologien aus Arnold Gesells Forschungslabor (1911-1949)
  • Lotta Fiedel (HU Berlin): Eine subjektivierungsanalytische Ethnografie der psychotherapeutischen Praxis

Assoziierte Projekte

  • Felix Klingenbeck (Universität zu Lübeck): "Lazarettstadt" Lübeck. Ein Beitrag zur Geschichte der Reservelazarettorganisation der Wehrmacht 1939-45