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Samstag, 11.06.2016

Studium

Das Europäische Jugendparlament tagte in Lübeck

Vom 6. bis 11. Juni 2016 fand in Lübeck die 26. Nationale Auswahlsitzung des Europäischen Jugendparlaments in Deutschland statt

Die Nationale Auswahlsitzung ist das Finale eines jährlichen, bundesweit stattfindenden Schulwettbewerbes und bringt rund 150 Jugendliche aus ganz Deutschland und Europa zusammen. Hauptorganisator der Tagung in Lübeck war Martti Klockemann, Medizinstudent an der Universität zu Lübeck im dritten klinischen Semester. Das Oberthema der Tagung: die Gesundheitsversorgung in der europäischen Union.

Das Europäische Jugendparlament in Deutschland e.V. (EJP) gehört zum Dachverband des European Youth Parliament (EYP), einem Netzwerk, das in insgesamt 40 Ländern Europas vertreten ist. Seit 1990 bietet das EJP Jugendlichen zwischen 16 und 22 Jahren einen Raum, ihre Meinungen zu europäischen Themen zu äußern, und will durch erweiterte Parlamentssimulationen europäische Politik überparteilich erleb- und erfahrbar machen. Für den Newsletter der Universität sprachen wir mit Martti Klockemann.

Herr Klockemann, Sie waren für die Sitzung in Lübeck der Hauptorganisator vor Ort - ein großer Kraftakt für einen Studenten. Welches Herz pochte im vergangenen Jahr mehr in Ihrer Brust, das europäische oder das medizinische?

Im letzten Jahr habe ich parallel zur Organisation der Sitzung in der experimentellen Dermatologie promoviert. Beides hat mich in etwa zu gleichen Teilen beschäftigt. Wenn in einer Sache die Motivation mal etwas nachließ, konnte ich einfach an der anderen weiterarbeiten – mit dem Wissen, trotzdem etwas Sinnvolles zu tun.

Wie ist Ihre Begeisterung für die europäische Idee entstanden?

Als Schüler habe ich selbst am jährlichen Schülerwettbewerb des Europäischen Jugendparlamentes teilgenommen. Ich hatte hinterher viele neue Freunde aus allen Teilen Europas, ein Verständnis für die Arbeitsweise der EU und nicht zuletzt ein stark verbessertes Englisch. Ein Schlüsselmoment war, als mir auf einer Sitzung ein Weißrusse plausibel darlegen konnte, warum eine Diktatur durchaus Vorteile hat und er nicht in einer Demokratie würde leben wollen. Da wurde mir noch einmal sehr klar, dass das Umfeld, in dem wir aufwachsen, unsere Denkweisen extrem prägt. Verständnis für andere Ansichten kann man sich nur schwer anlesen; einfach miteinander zu reden ist effektiver und macht außerdem auch mehr Spaß. Ich glaube, dass viel zu viele Menschen (gerade in meiner Generation) viele Verdienste der EU als Selbstverständlichkeiten ansehen, weil sie es nicht anders kennen. Dazu gehört zum Beispiel das Schengen-Abkommen oder auch schlicht die Tatsache, dass es noch nie bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen EU-Mitgliedsstaaten gegeben hat. All das musste in der Vergangenheit hart erarbeitet werden – und gerade heute, wo die EU-Skeptiker an Zulauf gewinnen, ist es nötiger denn je, diese erarbeiteten Privilegien zu verteidigen.

Welche Rolle spielte dabei das Europäische Jugendparlament?

Wie so gut wie jeder brauche ich neben dem Studium einen Ausgleich. Das EJP gibt mir die Möglichkeit, mich in Dingen auszuprobieren, die ich sonst nie machen würde – Pressearbeit, Fundraising, Projektleitung. Gerade in meiner Funktion als Projektleiter hier in Lübeck ging es maßgeblich darum, ein Team zu koordinieren, Geld sinnvoll einzusetzen und Mitarbeiter zu motivieren. All dies sind keine abstrakten Fähigkeiten, sondern sie können durchaus hilfreich sein, wenn es zum Beispiel darum geht, später einmal eine Praxis zu leiten.

Als die Wahl für die Nationale Auswahlsitzung auf Lübeck fiel, war Ihnen da schon klar, dass das übergreifende Thema „Medizin“ sein sollte?

Ja, definitiv. Gesundheitspolitische Probleme muss man häufig über nationale Grenzen hinweg betrachten. Antibiotikaresistenzen sind dafür ein sehr plastisches Beispiel. Bei der Themenwahl für eine Sitzung sollte man darauf achten, dass das Thema zum Sitzungsort passt – in Lübeck war dies mit der Profiluniversität und einigen der führenden Unternehmen im Bereich Medizintechnik dann keine schwierige Entscheidung.

Entsprechen die Prozesse im EJP von ersten Themensetzungen bis zur Abstimmung im Plenum denen in Straßburg und Brüssel?

Nein, das ist nicht möglich, da das Europäische Parlament zum Beispiel kein Initiativrecht hat und nur Vorschläge der Kommission aufgreifen, debattieren, abändern und dann beschließen (oder eben ablehnen) darf. Wir wollen, dass teilnehmende Jugendliche eigene Lösungsstrategien für Probleme entwickeln. Der Ablauf der eigentlichen Parlamentssitzungen mit den Debatten, festgelegten Redezeiten und Abstimmungen über Vorschläge ist denen im EP aber eng angelehnt.

Wo, würden Sie sagen, liegen die Unterschiede in den Positionen, Gesetzesvorstellungen für die Zukunft und Kooperationen in den Ausschüssen zwischen EP und EJP?

Wir sind jung, dynamisch und haben Pläne für die Zukunft. Wir sind keine Politiker, die jedes Wort auf die Goldwaage legen müssen und nach jeder Entscheidung Angst haben müssen, dafür abgewählt zu werden. Daher sind unsere Vorschläge meist ein wenig radikaler – und oft auch kreativer, weil unserer erste Frage eben ein „Wie könnte man das lösen?“ und kein „Woran könnte das scheitern?“ ist.

Waren die Themen Medizinerausbildung, Ärztemangel, Weiterbildung und medizinische Forschung an Universitäten auch Themen beim Jugendparlament?

Diese Problematiken spielten in den Beratungen mehrerer Ausschüsse eine Rolle. So schlägt ein Ausschuss, der sich mit der Bekämpfung von chronischen Krankheiten beschäftigte, beispielsweise vor, das Numerus-clausus-System zu reformieren und in ländlichen Regionen auch Gesundheitseinrichtungen zu etablieren, die nicht von einem Arzt geleitet werden müssen.

Welche Auswirkungen würden die Entscheidungen des EJP auf die Krankenversorgung in Deutschland haben?

In EU-Staaten wäre ärztlich assistierter Suizid erlaubt. Es würde häufigere Gesundheitschecks und Vorsorgemöglichkeiten für Arbeitnehmer geben, um Burnouts zu vermeiden. In der Tierhaltung würden drastische Strafen drohen, wenn gewisse Antibiotika-Mengen überschritten werden. Dies sind Beispiele von Beschlüssen, quer durch die Bank aus verschiedenen Ausschüssen. Sie sind aber alle im Plenum abgesegnet worden und wären also, zumindest unter Europas Jugend, mehrheitsfähig. Es ist schon öfter geschehen, dass wir als Jugendverein Beschlüsse getroffen haben, die später auch im Europäischen Parlament beschlossen worden sind.

Welches wären die Ergebnisse des EJP, von denen Sie selbst sich wünschten, sie sollten Grundlage weiterer Beratungen in Berlin oder Brüssel werden?

Mir läge vor allen Dingen die europäische Abstimmung bei der Bekämpfung von antibiotikaresistenten Bakterien am Herzen. Was nützt die sehr kontrollierte Verschreibung eines Antibiotikums in einem Staat, wenn das Mittel im Nachbarstaat frei verkäuflich ist? Auch durch Forschungssubventionen auf diesem Gebiet und durch Richtlinien, die die Tierhaltung betreffen, hat die EU viele Kompetenzen, Dinge in die richtige Richtung zu lenken.

Welchen Einfluss wird die Nationale Auswahlsitzung auf Ihre Zukunft als Mediziner und/oder Politiker haben?

In erster Linie habe ich eine Menge gelernt – und damit meine ich weniger das Inhaltliche als vielmehr das Organisatorische. Es ist wichtig, zu priorisieren und sich Dinge zuzutrauen. Der Ministerpräsident kommt eben nur, wenn ihn jemand anruft und erklärt, wie toll das ist, was wir hier machen. Und wenn der Ministerpräsident kommt, zieht man viel wahrscheinlicher auch andere Förderer an Land.

Dem Kuratorium des EJP gehören ehemalige Präsidenten des Europaparlaments, Landesminister und eine ehemalige Bundespräsidentenkandidatin an. Torsten Albig, Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, hat ebenso ein Grußwort beigesteuert wie der amtierende EP-Präsident Martin Schulz. Gibt es Mitglieder des Europäischen Jugendparlaments, die auch auf dem politischen Parkett Karriere gemacht?

Ich  weiß von mehreren  ehemaligen Vereinsmitgliedern, die mittlerweile in Brüssel und Straßburg bei EU-Institutionen arbeiten. Viele sind auch lokalpolitisch engagiert.

Werden wir auch bald Ihren Namen, dann als Alumnus unserer Universität, in politischem Zusammenhang finden können?

Davon würde ich nicht ausgehen. Ich plane nach wie vor, Arzt zu werden. Aber wenn sich irgendwann die Möglichkeit eines Quereinstiegs in die Politik ergibt, wäre ich vermutlich nicht abgeneigt.

Martti Klockemann, 1993 in Kiel geboren, studiert seit 2012 Medizin an der Universität zu Lübeck. Bereits als Schüler hat er am Wettbewerb des Europäischen Jugendparlamentes in Deutschland e.V. teilgenommen. Das Gespräch führte Dr. Stefan Braun. Der Politikwissenschaftler ist Schüler Klaus von Beymes und leitet an der Universität den Bereich Marketing. Die Lübecker Resolutionen des EJP zur Gesundheitspolitik können unter http://www.eyp.de/data//2016/05/EJP_Resolutionsheft_NAS-L%C3%BCbeck-2016_WEB.pdf abgerufen werden.




Martti Klockemann (Fotos: © Europäisches Jugendparlament in Deutschland e.V.)

Plenum des Jugendparlaments im Lübecker Rathaus

Festgelegte Redezeiten für die Debattenbeiträge

Kreative Lösungsvorschläge in der Ausschussarbeit

Das Organisationsteam für die Tagung in Lübeck