Website
Aktuelles
Freitag, 11.01.2013

Universität

Grobes Foul

Im Frühjahr 2003 wartete man in Schleswig-Holstein mit zunehmender Spannung auf den neuen Expertenbericht zur Entwicklung der Hochschulen

Im Sommer zuvor waren alle Hochschulen des Landes von einer hochrangig besetzten Kommission eingehend begutachtet worden. Geleitet wurde sie vom Münsteraner Rechtswissenschaftler und früheren Präsidenten der Hochschulrektorenkonferenz Prof. Dr. Hans-Uwe Erichsen.

Die Empfehlungen dieser so genannten „Erichsen-Kommission“, das war abzusehen, würden erheblichen Einfluss auf die künftigen hochschulpolitischen Weichenstellungen in Schleswig-Holstein haben. Entsprechend nervös fiel mancherorts das Warten auf den Abschlussbericht aus.

Am 6. März traten 291 Kieler Professoren mit ihren Sorgen an die Öffentlichkeit. In der Landespressekonferenz legte die Universität den Medienvertretern ihre Resolution „Zur Lage der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel im Jahre 2003“ vor. Der Tenor: „Es ist für die CAU fünf vor zwölf“ (Kieler Nachrichten 7. März 2003, S. 18).

Das Presseecho war erheblich. Im Flensburger Tageblatt wurden die vertretenen Argumente so zusammengefasst: „Regionalpolitische Belange und eine effiziente Hochschulpolitik ließen sich in Zeiten leerer Kassen leider nicht auf einen Nenner bringen. Falls Schleswig-Holstein in Sachen Bildung und Wissenschaft künftig überhaupt noch mitreden wolle, müsse sich das Land auf die Finanzierung einer Universität, ‚die diesen Namen auch verdient’, beschränken.“

Und weiter: „Hierfür kommt nach Ansicht der Professoren nur der Standort Kiel in Frage, da Spitzenforschung nur dort möglich ist, wo eine Vielzahl von Fächern und Fakultäten vorhanden sei. Die notwendige Vernetzung der medizinischen Grundlagenforschung mit der Biologie, Chemie, Physik und Psychologie sei an keinem anderen Standort im Lande gegeben“ (Flensburger Tageblatt 7. März 2003, S. 5).

„Grobes Faul“, urteilten die Lübecker Nachrichten und fassten den Kern des Positionspapieres so zusammen: „Hauptsache, uns in Kiel geht es gut, der Rest des Landes ist uns egal“ (LN 7. März 2003, S. 2). Für Bürgermeister Bernd Saxe gehörten die Forderungen zu dem „Getrommel, das wir seit Monaten hören“.

Unter der Überschrift „Kopfschütteln über den Affront“ (ebd., S. 5) stellte der Rektor der Universität Lübeck, Prof. Dr. Alfred X. Trautwein, klar: „Klassische Volluniversitäten haben vor den gegenwärtigen und zukünftigen bildungspolitischen und wirtschaftlichen Herausforderungen keinen Alleinvertretungsanspruch.“ Dekan Prof. Dr. Eberhard Schwinger ergänzte: „Das Papier ist für mich unverständlich, weil Kieler Kollegen unterschrieben haben, die mit uns hervorragend kooperieren.“ Und Burkhard Heinrich vom Personalrat in Lübeck: „Unsere Belegschaft bucht das Positionspapier unter den Fouls ab, die Kiel begeht, um den Standort Lübeck zu gefährden.“

Wie ging es nach dieser merkwürdigen Attacke 2003 weiter? Am 28. März erschien das Erichsen-Gutachten. Es bescheinigte der Universität Lübeck die dynamische Entwicklung neuer medizinnaher und ausgezeichnet nachgefragter Studiengänge. Die Lübecker Fachrichtungen sollten erhalten bleiben und in ihrer konsequenten Ausrichtung auf die Medizin hin weiter profiliert werden. Das Fazit der Expertenkommission: „Die Zukunft gehört der ‚unvollständigen’ wettbewerbsfähigen, profilierten Hochschule“ (S. 22 des Gutachtens).

Für die Universität Lübeck war dies die erhoffte Bestätigung des eingeschlagenen Weges zu einer fachlich ausgerichteten Schwerpunktuniversität. Endlich hatte man Planungssicherheit für die weiteren Entwicklungsschritte. Aber man hatte auch einmal mehr gespürt, von wo der Wind im Lande blies, und einen Vorgeschmack auf die viel schwerwiegenderen Angriffe 2010 erhalten („Lübeck kämpft für seine Uni“).

Weiter gestöbert im Pressearchiv

Kieler Nachrichten vom 7. März 2003, S. 18, Lübecker Nachrichten, S. 5

Flensburger Tageblatt vom 7. März 2003, S. 5

Lübecker Nachrichten vom 7. März 2003, S. 2